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An der Schlei

Von Förden und Fjorden
Die Schlei ist ein Meeresarm in Schleswig-Holstein, der sich zwischen Maasholm an der Ostsee und der Stadt Schleswig 42 Kilometer tief ins Landesinnere erstreckt.
Sie wird oft als Fjord bezeichnet. Fjorde liegen aber meist zwischen hohen Bergen und steilen Felswänden. Die Schlei ist aber von flachem Land umgeben.
Manchmal wird die Schlei auch als Förde bezeichnet. Mit den Förden bei Kiel oder Flensburg hat sie durchaus viele Ähnlichkeiten. Förden entstanden während der Eiszeit, so wie auch die Fjorde, aber bei ihnen formte kein meerwärts fließender Gletscher die Landschaft, sondern flaches Land war von einem dicken Einpanzer bedeckt, der sich ausdehnte und ins Landesinnere drückte.
Verwirrend ist, dass die Dänen ihre Förden, von denen sie auch ein paar haben, als Fjorde bezeichnen. Außerdem stammen beide Wörter, Förde und Fjord, vom selben Wortursprung, dem altnordischen Wort "fjǫrðr" ab, womit eine Meeresbucht oder ein Meeresarm bezeichnet wurde.
Wie auch immer. Es klingt gut für die Tourismusbranche, wenn Deutschland einen Fjord hat. Letztendlich zählt aber, dass die Schlei eine sehr schöne und interessante Kulturlandschaft ist, in der man ausgezeichnet zur Ruhe kommt.

Von Brodersby nach Sieseby

Meine Unterkunft, ein altes Landgut, liegt in Brodersby mitten in der Natur. Von dort schweift der Blick über Weiden mit grasenden Pferden und über Felder, auf denen im Mai der Raps leuchtend gelb blüht und im Sommer das Korn flachsfarben-golden steht. Darüber spannt sich der weite, strahlend blaue Himmel, an dem die Schwalben jagen.
Bei schönem Wetter sind die Sommer in Schleswig-Holstein unschlagbar.

Meine Fahrt führt von Brodersby nach Missunde an der schmalsten Stelle der Schlei, wo ich mit der Fähre auf die südliche Seite übersetze. Mein Ziel ist Sieseby, ein pittoreskes Dorf mit vielen malerischen reetgedeckten Häuschen.
Orte auf -by
Die Endung "-by" bei Ortsbezeichnungen stammt aus dem Altnordischen und bedeutet so viel wie Dorf oder Siedlung. Die Endung verweist auf eine Wikingergründung. Wo sich die Wikinger niederließen, findet man Ortsnamen, die auf -by enden, wie z.B. Grimsby oder Somersby in England, Visby oder Vimmerby in Schweden, Køgeby in Dänemark usw.
Dass die Schlei Wikingerland war, wird später bei Haithabu besonders deutlich.

Fährhaus Missunde

Sieseby

Der gesamte Ort Sieseby steht unter Denkmalschutz - und das zu Recht. In diesem Dörfchen ist seit Jahrhunderten alles unverändert geblieben. Es gibt keinerlei moderne Gebäude, stattdessen bestens erhaltene, reetgedeckte Fachwerkhäuser, einen stillen Friedhof und schmale Sandwege, die kaum Autoverkehr zulassen.








Haithabu

Am westlichen Ende der Schlei, im Landesinneren, liegt die Stadt Haithabu, die südlichste Wikingersiedlung Europas und der ehemals größte Handelsplatz in Nordeuropa, Schnittstelle zwischen Skandinavien und dem westlichen Mitteleuropa, Treffpunkt von Händlern verschiedenster Völker: Friesen, Sachsen, Slawen, Wikinger.
Vom neunten bis elften Jahrhundert hatte der Ort am Haddebyer Noor mit bis zu 2.000 Einwohnern geradezu Großstadtcharakter. So schrieb der arabische Chronist Ibrahim ibn Ahmed At-Tartûschi, der um 965 ins Wikingerland reiste: „Haithabu ist eine sehr große Stadt am äußersten Ende des Weltmeeres“.
Von dieser Stadt ist nicht viel übrig geblieben. Die Häuser waren damals aus Holz. Aber erkennbar ist noch ein Halbkreiswall, der die Siedlung schützte. Auch der Boden ist voll von achäologischen Artefakten, die außergewöhnlich gut erhalten sind und der Wissenschaft viele wichtige Erkenntnisse über die Wikingerzeit liefern. Haithabu ist heute eine der wichtigsten archäologischen Ausgrabungsstätten Deutschlands. Es gibt dort ein Museum und ein kleines nachgebautes Dorf, das einen Eindruck des Lebens in der damaligen Zeit vermittelt.
An dieser Stelle auf der Kimbrischen Halbinsel befindet sich auch die kürzeste Entfernung zwischen Ost- und Nordsee auf dem Landweg. Wollte man sich als Seefahrer den weiten Umweg um Jütland sparen, fuhr man auf der Schlei bis Haithabu, wo man schon weit ins Landesinnere vorgedrungen war. Von dort musste man nur den kurzen Landweg von circa 20 Kilometern bis zur Treene bei Hollingstedt zurücklegen. Dort ging es mit Booten weiter bis Friedrichstadt, wo die Treene in die Eider mündet, die dann direkt in die Nordsee führt. (Friedrichstadt ist eine sehenswerte Stadt. Willst du mehr darüber erfahren? Klick hier.)
Ungefähr parallel zu diesem Landweg zwischen Haithabu und Hollingstedt verläuft das Danewerk, ein von Menschen angelegter Wall der als Grenzverteidigungssystem zwischen dem ehemaligen Dänemark und den südlich lebenden Sachsen und Friesen diente. Heute ist er hauptsächlich als ein mit Gras bewachsener Wall erkennbar.
Die aus Holz gebaute Thyraburg, von der nur noch eine erhöht liegende Wiese übrig geblieben ist, diente als strategischer Eckpunkt in dieser Verteidigungsanlage.
Der Name Thyraburg ist möglicherweise auf die Königin Thyra Danebod zurückzuführen, die im 10. Jahrhundert lebte, Gemahlin von Gorm, dem dänischen König von Jelling und Mutter von Harald Blauzahn, dem nachfolgenden dänischen König.
Haithabu und Danewerk sind seit 2018 UNESCO-Weltkulturerbe.

Haithabu - nachgebaute Häuser vermitteln einen Eindruck des alten Wikingerhandelsplatzes

Die "Sigyn" ist eine Rekonstruktion eines historischen Wikingerschiffs, das auf Grundlage archäologischer Funde aus Haithabu nachgebaut wurde.


Haithabu bekam im Jahr 849 seine erste Kirche durch das Wirken von Ansgar von Bremen, dem sogenannten "Apostel des Nordens".
Ansgar kam als Gesandter des Fränkischen Reichs nach Dänemark und erhielt von König Horich I. die Erlaubnis, in Haithabu eine Kirche zu errichten. Die nachfolgenden dänischen Könige standen der Kirche skeptisch gegenüber. Mit Ansgars Tod im Jahr 865 kam die Mission zum Erliegen.
Erst unter dem ottonischen König Heinrich I. stieß die Mission wieder nach Dänemark vor. Heinrich schickte 934 ein Heer nach Jütland, um gegen Wikingerüberfälle vorzugehen. Er besiegte die Dänen, worauf der dänische König Gnupa zur Taufe gezwungen wurde. Sein Nachfolger Gorm stand der Kirche wieder ablehnend gegenüber, aber dessen Sohn Harald Blauzahn ermöglichte es Ansgar, die Kirchen in Haithabu und Ribe wieder aufzubauen und in Århus eine neue Kirche zu gründen.
Diese drei Kirchenstandorte wurden 948 erstmals als Bischofssitze erwähnt. Im Jahr 965 ließ sich Harald Blauzahn unter dem politischen und wirtschaftlichen Druck des Deutschen Reichs Ottos I. taufen.
100 Jahre nach Ansgars Tod wurde in Dänemark offiziell das Christentum eingeführt. Das Christentum untermauerte Haralds Königsherrschaft und half, seine Macht im eigenen Reich zu festigen.
Ansgar von Bremen, Apostel des Nordens
Er wurde im Jahr 800 in der Picardie geboren und kam 822 in das neu gegründete Kloster Corvey an der Weser. (Willst du mehr über Corvey an der Weser wissen? Klick hier.)
834 sandte ihn Kaiser Ludwig der Fromme nach Norden, um dort die Mission voranzutreiben. Dies galt als unüberwindbare Herausforderung. Kaum ein Mönch war willens, die gefährliche Reise nach Norden zu wagen. Als Ansgar gefragt wurde, ob er diese Aufgabe übernehmen wolle, sagte er sofort zu, aber seine Mitbrüder waren entsetzt. Unter Heiden leben zu müssen war für die Zeitgenossen eine schreckliche Vorstellung. Der Norden war den Menschen des Mittelalters unheimlich. Das Heil kam aus dem Süden, wo Christus gelebt hatte und wo Rom war. Im Norden, so glaubte man, mache die Dunkelheit die Menschen schwermütig und wild. Auch die Raubzüge der Wikinger in ganz Westeuropa verstärkten das Image des bedrohlichen Nordens.
Dennoch entschied sich Ansgar für die Mission. Er baute die erste Kirche in der kleinen Handwerkersiedlung Hammaburg an der Elbe (das spätere Hamburg) und unternahm von dort Missionsreisen u.a. nach Haithabu und bis nach Birka in
Schweden. Bei der Überfahrt nach Schweden erlebte Ansgar bei einem Raubüberfall, wie brachial die Wikinger vorgingen, aber er hatte es überlebt, wenn auch alle kostbaren Gepäckstücke, die der Mission dienen sollten, verloren waren.
Ansgar wurde zum ersten Bischof von Hamburg geweiht, weil er diese für die Kirche wichtige Aufgabe übernommen hatte. Als Hammaburg 845 von den Wikingern überfallen wurde, floh er nach Bremen. Der damalige Bremer Bischof Leuderich starb im selben Jahr und Ansgar wurde sein Nachfolger.
Obwohl seine Spuren zweihundert Jahre später in Skandinavien kaum noch zu finden waren, trägt er den Beinamen "Apostel des Nordens", denn mit den Bistümern Hamburg und Bremen hatte er das Fundament für die Christianisierung des Nordens geschaffen. In Skandinavien ist er bekannt und es gibt an verschiedenen Orten Denkmale von ihm.

Im Jahr 1066 nahm die Geschichte Haithabus ein dramatisches Ende. Wiederholt war die Stadt Ziel feindlicher Angriffe und Plünderungen gewesen, wodurch ihre Bedeutung als Handelszentrum allmählich schwand. Schließlich setzten slawische Krieger Haithabu in Brand, sodass die Siedlung endgültig aufgegeben wurde. Doch nur drei Kilometer entfernt entwickelte sich eine neue Stadt, die Haithabus Rolle übernahm: Schleswig.

Blick von Haithabu nach Schleswig, das vom Dom dominiert wird
In selben Jahr als Haithabu aufgegeben wurde, fand in England die Schlacht bei Stamford Bridge statt, die in der Geschichtswissenschaft allgemein als das Ende der Wikingerzeit angesehen wird. Der norwegische König Harald Hardråde wurde besiegt bei seinem Versuch, England zu erobern.
Der Beginn der Wikingerzeit wird auf das Jahr 793 festgesetzt, als Wikinger das Kloster Lidisfarne in England überfielen, ihr Ende auf das Jahr 1066. Diese Zeit liegt ungefähr parallel zur karolingischen und ottonischen Epoche in Deutschland.
Die Wikinger wurden damals als raubende Krieger wahrgenommen. Im 9. und 10. Jahrhundert bereisten und plünderten sie große Teile Europas, darunter England, Frankreich, Irland und die iberische Halbinsel. Sie gründeten Siedlungen in Island, Grönland und sogar Nordamerika (Vinland, um 1000), sie beeinflussten die Entwicklung der Kiewer Rus (Vorfahren der Russen, Ukrainer und Weißrussen) und sie handelten bis nach Byzanz (heutiges Istanbul) und den Nahen Osten.
Nach 1066 verloren sie allmählich ihre kriegerische Dominanz und das Christentum setzte sich durch. In der skandinavischen Geschichtsschreibung folgt auf die Wikingerzeit das "christliche Mittelalter", womit auch das räuberische Wirken der Wikinger beendet war.
War Haithabuh vor der Christianisierung nicht nur ein Handelszentrum, sondern auch ein Seeräubernest?
Die Nachkommen der Wikinger außerhalb von Skandinavien leben bis heute – in Island und Grönland, auf den Shetland-Inseln, in Russland und auch in Schleswig-Holstein.
(Mehr über die Wikinger? Klick hier.)


Schleswig

Schleswig wurde nach dem Untergang Haithabus zum neuen wirtschaftlichen und politischen Zentrum an der Schlei.
Der Name Schleswig verweist auch wieder auf die Präsenz der Wikinger. Schleswig besteht aus den Worten "Schles", vielleicht der Genitiv für "Schlei" und dem altnordischen Wort "vik".
In den nordischen Ländern gibt es mehrere hundert Orte mit dem Namen „Vik“ und mehrere tausend weitere, die auf „-vik“ enden. In der Regel findet man dort ein altes Fischerdorf oder eine alte Fischerstadt. Vik bedeutet „Bucht“, also einen natürlichen Hafen.
Der Begriff Wikinger hat vermutlich denselben Ursprung. Eine gängige Theorie ist, dass er sich von víkingr ableitet, was so viel wie „Seeräuber“ oder „Seekrieger“ bedeutete. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Wikinger ursprünglich als „Menschen aus den Buchten“ bezeichnet wurden – also als jene, die von den geschützten Buchten aus ihre Schiffe zu Handels- und Raubzügen starteten.


Schleswiger Dom
Ein großer zeitlicher Sprung bringt uns ins 16. Jahrhundert. Der Norden war schon lange christianisiert, aber die Reformation erschütterte Deutschland und in ihrem Zuge wurde das Bistum Schleswig aufgelöst und in ein lutherisches Bistum umgewandelt. Die Kathedrale von Schleswig, der Schleswiger Dom (Dom St. Petri), blieb bestehen und wurde eine evangelisch-lutherische Kirche. Die Bezeichnung Dom wurde im Norden für ehemalige Kathedralen beibehalten, auch wenn Schleswig heute zur evangelisch-lutherischen Nordkirche gehört.
("Kathedrale" ist die Bezeichnung für die Kirche eines Bischofssitzes, dabei spielen die Entstehungszeit, der Baustil etc. überhaupt keine Rolle. Es gibt auch Kathedralen in modernen Städten wie in den USA oder, wenn die Gemeinde der Katholiken klein ist, können Kathedralen auch klein sein wie z.B. die Hedwigskathedrale in Berlin.)

In Norddeutschland prägen imposante Backsteinkirchen die Landschaft. Besonders in den Küstenregionen, wo Naturstein selten war, entwickelte sich die Backsteingotik als charakteristischer Baustil.
Ein faszinierendes Merkmal vieler dieser Kirchen ist die farbliche Variation der Backsteine. Diese entsteht unter anderem durch die sogenannte Salzglasur oder Salzlasur. (Willst du mehr über die Ornamentik und Farbigkeit dieser Backsteine erfahren? Klick hier.)


Der Brüggemann-Alter im Schleswiger Dom, eines der prachtvollsten Altarretabel in Nordeuropa
Im Schleswiger Dom steht der Brüggemann-Altar, ein prachtvolles, geschnitztes Altarretabel, das mit einer Höhe von 12,60 m und 7 m Breite und fast 400 aus Eichenholz geschnitzten Figuren eines der
umfangreichsten seiner Art in Nordeuropa ist.
Hans Brüggemann schuf ihn inzwischen 1514 und 1521 für den Auftraggeber Herzog Friedrich von Schleswig (1490-1523) und seine erste Gemahlin Anna v. Brandenburg. Die beiden hatten die Stiftskirche Bordesholm als Grablege erwählt und wollten den Altar für diese Kirche geschaffen haben.
Kurz vor Fertigstellung des Altars starb Herzogin Anna und wurde in der Bordeshomer Kirche beigesetzt.
1523 erlangte Friedrich die dänische Königswürde und regierte als König Friedrich I. von Dänemark bis zu seinem Tod 1533 von Schloss Gottorf in Schleswig.
Er wurde als König nicht in Bordesholm beigesetzt, sondern im Schleswiger Dom.
Aus diesem Grund ließ Herzog Christian Albrecht das Altarwerk nach Auflösung des Klosters Bordesholm in die Nähe des Stiftergrabes überführen.
Über den Schnitzer Brüggemann ist wenig bekannt. Geboren vermutlich 1480 in Walsrode, verbrachte er Wanderjahre in den Niederlanden und am Niederrhein und wurde offenbar von der Kunst dort beeinflusst. (Willst du mehr über die Kunstgegend Niederrhein und seine Altäre erfahren? Klick hier.)

Kenotaph von Friedrich I., König von Dänemark und Norwegen, Herzog von Schleswig und Holstein
Friedrich I. wurde im Schleswiger Dom bestattet. Sein Kenotaph steht im nördlichen Chorschiff.
Schloss Gottorf





