UMGEBUNGSENTDECKER
REISEEINDRÜCKE FÜR KUNST- UND GESCHICHTSINTERESSIERTE
Brandenburg
INHALT
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- Sacrow, malerische Heilandskirche an der Havel
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- Fehrbellin, Schlacht der Brandenburger gegen die Schweden
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- Neuruppin, Geburtsort von Theodor Fontane und Friedrich Wilhelm Schinkel
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- Rheinsberg, Residenz des jungen "Alten Fritz`"
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- Der Stechlin, bekannt durch Fontanes Roman
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- Auf Leistikovs Spuren, Kiefernwälder und Seen
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-Caputh, das älteste Schloss Brandenburgs
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- Auf Walther Rathenaus Spuren
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In Brandenburg findet man Landschaften wie aus Erzählungen von Theodor Fontane, einsame Seen, in denen man ungestört baden gehen kann, Jagd- und Forsthäuser, die sich still in die Wälder einfügen, Seepartien mit Kiefernwäldern wie auf Gemälden von Walter Leistikow.
Die wenigen menschlichen Eingriffe integrieren sich in die Landschaft un steigern deren Schönheit, während die umgebende Natur den verschönernden Rahmen für die eingebettete Kultur bildet.​​
Das Klima ist kontinental und die Sommer sind intensiv. Kleine Städtchen wie das Storchendorf Linum scheinen an Sommertagen in der Mittagshitze zu harren, die Luft flimmert über dem Kopfsteinpflaster, die Schwalben fliegen hoch und Störche prägen noch - oder wieder - die Gegend. Durch die vielen Seen gibt es Süßwasserfische wie Hecht und Zander, die die regionale Küche prägen.
Potsdamer Seenlandschaft
Im äußersten Westen Berlins liegt Schloss Glienicke an der Havel, die hier weniger an einen Fluss als an einen See erinnert. Während der letzten Eiszeit gruben Gletscher tiefe Rinnen und Becken in die Landschaft, die sich nach dem Abschmelzen mit Wasser füllten. Daraus entstand das Havel-System, eine Vielzahl miteinander verbundener Seen, die die Umgebung von Potsdam und Glienicke durchziehen.
Glienicke und Potsdam sind durch die Havel getrennt. An der schmalsten Stelle sind beide Ufer durch die Glienicker Brücke miteinander verbunden.
Die Landschaft um Glienicke herum wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von den drei Söhnen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. durchgestaltet. Sohn Prinz Carl von Preußen ließ Schloss Glienicke erweitern und zu einem italienisch gestalteten Sommerschloss umbauen. Unter seiner Federführung entstanden auch die Schweizer Häuser in Klein-Glienicke, einem idyllischen Dorf direkt neben dem Park von Schloss Glienicke. Wilhelm, der spätere Kaiser Wilhelm I., gestaltete Schloss Babelsberg als neogotische Burg mit umliegendem Park und der Sohn Friedrich Wilhelm, späterer König von Preußen Friedrich Wilhelm IV., baute hier an der Havel die Sacrower Heilandskirche.
Die gesamte Landschaft an den Ufern wurde als Landschaftspark im englischen Stil vom Gartenbauarchitekten Peter Joseph Lenné durchgestaltet. Zusammen mit Schinkel und dessen Schüler Persius, die Schloss Glienicke, Schloss Babelsberg und die Sacrower Heilandskirche entwarfen, entstand eine Kulturlandschaft, die naturbelassen wirkt, obwohl alles nach ästhetischen Gesichtspunkten durchgestaltet wurde. Waldähnliche Bereiche gehen über in Park- und Rasenflächen, Sichtachsen lenken den Blick des Spaziergängers auf das Wasser, an dessen gegenüberliegenden Ufern sich die Parklandschaft fortsetzt und mit Point de Vues überrascht. Immer wieder entdeckt man Aussichtspunkte, kleine Schlösser, Ruinen, einsam gelegene Kirchen, Solitärbäume, Sichtachsen zur Kuppel der Nikolaikirche in Potsdam - es ist eine der glücklichsten Verbindungen von Natur und Kultur in ganz Deutschland.
Die Sacrower Heilandskirche liegt auf einer kleinen Landzunge, die vom Dorf Sacrow auf der Potsdamer Seite in die Havel hineinragt. Romantisch, geheimnisvoll, einsam wie eine Eremitage.
Mitte des 19. Jahrhhunderts wurde das Mittelalter sozusagen restauriert und wiederbelebt. Der Geist der Romantik hallte noch nach, so dass man eine starke Natursehnsucht spürte, gepaart mit der Suche nach einsamen, verträumten Orten. Der Klassizismus und die Liebe zur Antike flossen ebenfalls ein, romanische Formen und ein freistehender Campanile bei der Sacrower Heilandskirche sollten an Italien erinnern.
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Gebaut wurde die Kirche 1844, wie gesagt, auf Veranlassung von Friedrich Wilhelm IV. (Regentschaft 1840-1858). Er war ein Monarch, dessen Bautätigkeiten weitreichend waren. Egal, wohin man in Deutschland auf dem Territorium des damaligen Preußens reist - man begegnet Bauten, die durch seine Veranlassung entstanden waren, einiges davon hat heute Welterbestatus wie z.B. der Kölner Dom, dessen Grundsteinlegung bei der Wiederaufnahme des Baus durch ihn erfolgte, oder die Museumsinsel in Berlin, die als Ort der Wissenschaft und Kunst im Zentrum Berlins entstehen sollte. Der König, welcher künstlerisch begabt war, lieferte zu manchem Projekt nicht nur die gedankliche Vision, sondern fertigte gleich architektonische Skizzen an, so entstammten auch einige gezeichnete Ideen für Schloss Glienicke von ihm und auch die Sacrower Heilandskirche geht auf seine Entwürfe zurück. Dabei bewies er ein gutes Gefühl für malerische Landschafts- und Architekturinszenierungen. Er wäre sicher Architekt geworden, wenn er nicht König hätte werden müssen.
Vieles, was auf dieser Webseite erwähnt wird, steht im Zusammenhang mit ihm (Altenberger Dom, Maria zur Wiese in Soest, Burg Stolzenfels am Rhein).
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Nach dem Zweiten Weltkrieg wäre die Kirche um ein Haar durch Verfall zerstört worden. Sie lag in der Zeit zwischen dem Mauerbau und dem Mauerfall auf dem Grenzstreifen. Sie gehörte zur DDR und da man leicht über die Havel in den Westen hätte flüchten können, zog sich die Mauer am Ufer vor der Kirche entlang, so dass man von der DDR-Seite nicht zu ihr gelangen konnte. Von der Westseite war eine Annäherung auch nicht möglich, die Ufer waren ständig von Grenzposten in Booten bewacht. So war die Kirche unerreichbar und verfiel langsam. In den 80er Jahren wurde sie mit Mitteln der Bundesrepublik saniert und vorerst gerettet. Nach dem Mauerfall wurde sie renoviert.
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Das erste Mal erlebte ich die wiedererstandene Kirche, als ich in der Vorweihnachtszeit auf dem Glienicker Ufer im Schnee spazieren ging. Es war ein eisig kalter Adventstag kurz vor Weihnachten, die Landschaft harrte in Winterstarre und die vertrockneten Gräser zitterten am Ufer. Alles war in Grau- und Weißtöne gehüllt. Nach dem Spaziergang wollte ich nach Westdeutschland zurück fahren und die Abschiedsstimmung drückte leicht auf mein Gemüt. Eine eigenartige Melancholie lag in der Luft und ich saugte diese Schönheit in mich auf. Wir gingen am Ufer entlang zum Ausflugslokal Moorlake, als wir plötzlich Adventslieder, gespielt von Blechblasinstrumenten, hörten. Da sahen wir auf dem Umgang der Kirche am gegenüberliegenden Ufer Adventsbläser in dicke Winterjacken gehüllt, die mit Posaunen spielten. Ihre Lieder klangen über das Wasser zu uns herüber, mal lauter, mal leiser durch den leichten Wind verweht.
Später betraten wir die Moorlake, angenehme Wärme umfing uns, Licht und zwei geschmückte Weihnachtsbäume erhellten den Raum. Während draußen klirrende Kälte herrschte, tranken wir in dem Jagdhaus unseren heißen Kakao.
Wirtshaus Moorlake
an der Havel
Storchendorf Linum
Bei einer Fahrt Richtung Neuruppin begegneten uns plötzlich Hinweisschilder auf die "Schlacht bei Fehrbellin". Bekannt durch das Theaterstück "Prinz Friedrich von Homburg" von Heinrich von Kleist, wenn man es z.B. in der Schule gelesen hat. Außerdem gibt es die U-BahnStation "Fehrbelliner Platz" in Berlin. Grund genug, neugierig zu werden und hinzufahren.
Es war die Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. 1648 verlor das Heilige Römische Reich mit Beschluss des Westfälischen Friedens Westpommern mit den Hafenstädten Stralsund und Stettin sowie der Insel Rügen an Schweden, unter dessen Herrschaft es bis zum Wiener Kongress 1815 blieb; das Elsass ging mit dem Westfälischen Frieden an Frankreich.
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Frankreich befand sich von 1672 - 1678 mit den Niederlanden im Holländischen Krieg, da Ludwig der XIV. mit expansiven Eroberungskriegen seine Hegemonie ausbauen wollte.
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Der deutsche Kaiser kämpfte derweil am Oberrhein gegen Frankreich und wurde dort von Brandenburgischen Truppen unterstützt.
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Schweden, das mit Frankreich verbündet war, sollte Brandenburg und damit das Kaiserreich schwächen. Das taten sie, fielen in Brandenburg ein, zerstörten und brandschatzten, so wie sie es noch in Erinnerung aus dem Dreißigjährigen Krieg hatten. Dafür bekamen sie finanzielle Unterstützung von Frankreich. Das Kaiserreich war also von Westen und von Norden bedroht.
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Die Schlacht bei Fehrbellin
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Zum Zeitpunkt der Schlacht 1675 war Brandenburg ein ziemlich ausgeplündertes Land, das sich von den Folgen des Dreißigjährigen Krieges noch nicht wirklich erholt hatte. Aber der Landesherr Markgraf Friedrich Wilhelm hatte eine disziplinierte und organisierte Streitkraft aufgebaut und griff die Schweden an, obwohl die Brandenburger zahlenmäßig deutlich unterlegen waren. Zunächst kämpften die Brandenburger in Rathenow mit 7000 Reitern gegen 14.000 Schweden und gewannen, was zu einem Rückzug der schwedischen Truppen führte, die dann bei Neuen und Fehrbellin weiter geschlagen wurden.
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Einerseits war die Schlacht aus schwedischer Sicht nur ein unglücklich verlaufenes Rückzugsgefecht und auch die Eroberung von Mecklenburg und Pommern durch die Brandenburger musste rückgängig gemacht werden bei dem Friedensschluss von St- Germain. Andererseits hatte es das kleine Brandenburg geschafft, die Großmacht Schweden zu besiegen.
Die Schlacht von Fehrbellin führte zu einer Verschiebung der europäischen Machtverhältnisse. Es ist der Beginn von Brandenburgs Aufstieg.
Friedrich Wilhelm wird seitdem als "Großer Kurfürst" bezeichnet.
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Von ihm steht ein Reiterstandbild vor dem Charlottenburger Schloss. Angefertigt wurde es von dem Barockkünstler Andreas Schlüter, der auch das Berliner Schloss baute. Ursprünglich stand das Reiterstandbild vor dem Schloss und seit dessen Wiederaufbau diskutieren Expertengruppen, ob der Große Kurfürst wieder an seinen angestammten Platz zurück gebracht werden sollte.
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Geburtsort von Theodor Fontane und
Friedrich Wilhelm Schinkel
Binenwalde am Kalksee
Der Kalksee in Binenwalde ist ein Geheimtipp. Er liegt zwischen Neuruppin und Rheinberg, still, versteckt mit einem kleinen Ort, nämlich Binenwalde. Man fährt von Neuruppin auf der L 18 Richtung Norden und folgt irgendwann den Hinweisschildern nach Binenwalde. Der Ort mit dem See ist einfach zu finden. Man kann dort eigentlich nicht viel machen, aber trotzdem habe ich mich in diesen Ort verliebt, weil er so still ist, so ursprünglich. Man kann am Wasser spazieren gehen oder gleich im See schwimmen. Danach bietet sich das Gasthaus Hacker an, das seit 1859 als Familienbetrieb geführt wird. Hier erlebt man eine Zeitreise, die vielleicht nicht jedermanns Sache ist, aber mir hat es gefallen, in dem Biergarten mit den großen alten Bäumen, in denen der Kuckuck ruft. Es gibt ein Sommerhaus aus dem Jahr 1912, in dem man größere Feste feiern kann.
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An der Grenze zu Mecklenburg -
Carwitz, Hans Falladas Wohnort
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Werder an der Havel
Potsdam
Auf Walther Rathenaus Spuren
Walther Rathenau, Lizenz: gemeinfrei, Von Bain News Service - Dieses Bild ist unter der digitalen ID ggbain.20796 in der Abteilung für Drucke und Fotografien der US-amerikanischen Library of Congress abrufbar.
Bei einem meiner Berlinbesuche hatte es mich angefixt, mich auf die Suche nach Rathenaus Spuren zu begeben.
Was hat das alles mit Brandenburg zu tun? Ehrlich gesagt, nicht viel, aber eine Landpartie nach Freienwalde am Oderbruch, wo Rathenau sein Rückzugsdomizil hatte, führte dazu, mich weiter mit ihm zu beschäftigen. Und da führt an Berlin kein Weg vorbei. Also begab ich mich auch in Berlin auf Spurensuche.
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Rathenau war Unternehmer und Politiker, ein Mensch, der nach Lösungen der großen Fragen in der Weimarer Republik suchte, vor allem nach der Lösung der sozialen Fragen, der Selbstentfremdung des Menschen in einer maschinisierten Welt, der ungleichen Verteilung von Reichtum, der zu lähmenden Protesten und Aufständen führte usw. Auch die Überwindung des europäischen Antisemitismus, die er in der Assimilation jüdischer Bürger im Gegensatz zum Zionismus sah, war eines seiner Themen, wobei er die Erfahrung gemacht hatte, dass ihm ein höherer militärischer Rang verwehrt blieb, eben weil er Jude war, was zu der schmerzlichen lebenslangen Einsicht führte, dass er als Jude ein Mensch zweiter Klasse bleiben wird und keine Tüchtigkeit, kein Verdienst ihn aus dieser Lage befreien können.
Die Suche nach Lösungen, die Rathenau in Büchern verfasste, hatte teilweise schon utopische Züge, was in jener Zeit keine Seltenheit war. Dabei hatte Rathenau sehr weitreichende Vorstellungen, z.B. von einer Zollunion in Mitteleuropa, die er mit einer Wiederbelebung des Frankenreichs, also einer Verbindung von Deutschland und Frankreich, verglich. Vor allem die Überwindung der deutsch-französischen Erbfeindschaft stand als Ziel hinter diesen Überlegungen. Heutzutage würde kein Politiker mehr mit solchen historischen Dimensionen argumentieren, aber letztendlich ist diese visionäre Vorstellung vielleicht vergleichbar mit dem Ziel der Befriedung Europas durch die Gründung der heutigen EU.
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Rathenau war ein Schöngeist, der schon als Kind musische Begabungen zeigte, Theaterstücke schrieb und malte. Verstanden wurde er mit dieser Neigung wohl eher von seiner Mutter. Die Affinität zur Kunst war bei Rathenau immer vorhanden. Als erwachsener Mann war er unter anderem mit Stefan Zweig und Gerhart Hauptmann befreundet.
Die Freundschaft zwischen dem sozialistischen Dramaturgen Gerhart Hauptmann und dem Industriellen Rathenau war nicht abwegig, da Rathenau Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei war, einer links-liberalen Partei. Die Kontakte zu den beiden Schriftstellern ebneten Rathenau den Weg in den Samuel-Fischer-Verlag, einen Verlag, der in seiner Bedeutung für das intellektuelle Leben Deutschlands Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Im Fischer-Verlag veröffentlichte auch Rathenau seine Schriften.
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Rathenau wäre wohl lieber Künstler geworden oder hätte eine militärische oder diplomatische Karriere angestrebt, um sich dem familiären Industriebetrieb zu entziehen. Aber er beugte sich und stieg 1893 in das Familienunternehmen ein, die Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, kurz AEG, das zeitweise eines der größten Elektrizitätsunternehmen der Welt war.
Immerhin hatte Rathenau respektable Künstlerfreunde und später wurde er Reichsaußenminister, also nahmen Kunst und Diplomatie immer einen gewissen Raum in seinem Leben ein.
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Sein künstlerisches Interesse wurde auch in der Firma spürbar. Für die AEG, die von seinem Vater Emil Rathenau gegründet worden war, fand man 1907 den Künstler und Architekten Peter Behrens als "Künstlerischen Beirat" - heute würde man sagen "Art Director", der der Firma ein einheitliches gestalterisches Erscheinungsbild gab, das einen hohen Wiedererkennungswert hat. Diese Gestaltung fand sich in allen Produkten der Firma wieder, bei Druckschriften, Plakaten, Broschüren, Verpackungen usw.
Die Arbeit des Künstlerischen Beirats wird heute als "Corporate Design" bezeichnet. Behrens war bei der AEG der Entwickler des Ersten Corporate Designs weltweit.
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Die Außenpolitik, die Rathenau als Reichsaußenminister im Kabinett des Reichskanzlers Joseph Wirth vertrat, war in jenen Tagen vom Ausgang des Ersten Weltkriegs bestimmt, aus deutscher Perspektive vor allem von den Reparationszahlungen, die der Versailler Vertrag diktierte, sowie der Abstufung Deutschlands in die internationale Bedeutungslosigkeit. Es gab zwei Möglichkeiten, damit umzugehen, entweder man kooperierte mit den Siegermächten oder man tat es nicht.
Rathenau versuchte zunächst, die Reparationszahlungen fortzusetzen im Rahmen der sog. "Erfüllungspolitik", was dazu führen sollte, den Siegermächten die Unmöglichkeit ihrer Bedingungen zu verdeutlichen. Dieses Vorgehen führte in politisch rechten Kreisen zu dem Vorwurf, dass Rathenau Deutschland ausverkaufe. Schließlich führte der zusätzliche Dawes-Plan, der mit den Alliierten geschlossen wurde und der sich bei den Reparationsforderungen an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands orientieren sollte, dazu, dass die Zahlungen neu geregelt wurden. Aber auch dieser Vertrag war problematisch, denn er baute nicht die Massenarbeitslosigkeit ab, er führte zu starker Abhängigkeit von der US-Wirtschaft, die während der Weltwirtschaftskrise 1929 ihren schwarzen Freitag erlebte, die Reichsbank und die Deutsche Bank wurden unter internationale Kontrolle gestellt usw.
Schließlich schloss Rathenau mit dem Vorgängerstaat der späteren Sowjetunion, der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, den bilateralen Vertag von Rapallo ab, mit dem sich zwei von der internationalen Politik geächtete Staaten - Deutschland als Kriegsverlierer und die Russisch Sozialistisch Föderative Sowjetrepublik als sozialistischer Staat - zusammenschlossen. Für Deutschland war dies wichtig, da dessen Waren in Westeuropa weiterhin boykottiert wurden. Das Ziel war, vereinfacht gesagt: technisches Know-How aus Deutschland für Bodenschätze aus Russland. Die Russen kamen nicht an ihre Bodenschätze und konnten sie ohne deutsche Technik nicht weiterverarbeiten, die Deutschen brauchten Energie, die sie von England und den USA nicht bekamen.
Der Vertrag wurde in Deutschland mehrheitlich durchaus begrüßt, aber von rechten Strömungen abgelehnt. Sie sahen darin eine Annäherung an das bolschewistische Russland und obendrein sahen sie in Rathenau sowieso nur einen Juden.
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Viel Nahrung für radikale Tendenzen - und so geschah es, dass Rathenau von rechtsradikalen Studenten in seinem Cabriolet morgens auf dem Weg zum Außenministerium unweit seiner Villa in Berlin-Grunewald am 24.06.1922 im Alter von 54 Jahren erschossen wurde.
Der Tod Rathenaus löste ein politisches Erdbeben aus; in vielen Städten kamen Millionen Menschen zusammen, allein im Berliner Lustgarten (zwischen Schloss, Dom und Altem Museum) versammelten sich zwei Millionen Menschen, um Anteil zu nehmen und Rache und Konsequenzen zu fordern.
Stefan Zweig erlebte den Moment, in dem er davon erfuhr, dass sein Freund ermordet worden war, im Urlaub auf Sylt und beschrieb seine Wahrnehmungen in seinem Roman "Die Welt von Gestern" folgendermaßen: "Ich war an diesem Tage schon in Westerland, hunderte und aberhunderte Kurgäste badeten heiter am Strand. Wieder spielte eine Musikkapelle wie an jenem Tage, da Franz Ferdinands Ermordung gemeldet wurde, vor sorglos sommerlichen Menschen, als wie weiße Sturmvögel die Zeitungsausträger über die Promenade stürmten: »Walther Rathenau ermordet!« Eine Panik brach aus, und sie erschütterte das ganze Reich."
Stefan Zweig bezeichnete dieses Ereignis als den Beginn des Unglücks für Deutschland, für Europa.
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Die beiden Attentäter-Studenten waren schnell gefasst bzw. tot, das Problem war die Organisation Consul, die hinter ihnen stand, die schon den Politiker Matthias Erzberger, der die deutsche Kapitulationsurkunde unterzeichnet hatte, ermorden ließ, Philipp Scheidemann, der am 09.11.1918 die Republik ausgerufen hatte, überlebte nur knapp ein Säureattentat durch die Organisation.
Die Organisation Consul wurde nie wirklich ausgehebelt, denn sie hatte eine Lücke in der jungen Republik entdeckt, indem sie geheimdienstliche Aufgaben übernahm, die offiziell von den Siegermächten verboten waren, so dass die Republik aus dieser Organisation, die eigentlich alles Republikanische verachtete, auch Nutzen zog. Elf Jahre später, 1933, wurden die Mitglieder dieser Organisation in die SS eingegliedert.
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Geboren wurde Rathenau in Berlin am 29. September 1867 als Sohn des Industriellen Emil Rathenau und seiner Frau Mathilde. Er studierte Physik, worin er promovierte, Chemie, Maschinenbau, aber auch Philosophie.
Rathenau war nie verheiratet.
Rathenau kaufte 1909 dieses Anwesen von der preußischen Krone - es war
damals das verfallene Schloss Freienwalde - und ließ es im klassizistischen Stil renovieren. Hauptsächlich nutzte er es als
Rückzugsort, um zu malen oder zu schreiben.
Heute befindet sich in dem Gebäude die Walther-Rathenau-Gedenkstätte, ein schöner Ort, an dem ein umfangreiches, auch privates Bild von dem beeindruckenden Mann vermittelt wird.
Man sieht Bilder, die er gemalt hat, den Schreibtisch, an dem er schrieb und erfährt natürlich alles aus seinen vielen Ämtern und Positionen.
Ein sehr empfehlenswerter Ort, der - warum auch immer- wenig besucht wird.
Walther Rathenaus Villa in
Berlin-Grunewald, Königsallee 65
Gedenktafel am Tatort von Rathenaus Mord
Rathenaus letzte Ruhestätte
Friedrichshagen
Schönblick, Woltersdorf,
Wirkstätte des Lebensreformers Fidus