UMGEBUNGSENTDECKER
REISEEINDRÜCKE FÜR KUNST- UND GESCHICHTSINTERESSIERTE
Hunsrück -
auf den Spuren der Serie "Heimat"
In der Serie Heimat werden die Geschichten der Bewohner des fiktiven Hunsrücker Dorfs Schabbach in der Zeitspanne vom Ende des 1. Weltkriegs bis in die 50erJahre erzählt. Im Mittelpunkt der Serie stehen die Menschen dieser entlegenen Gegend, deren Leben und persönliche Erfahrungen von der Zeitgeschichte beeinflusst werden, obwohl die großen Ereignisse fernab passieren und nur allmählich und abgeschwächt im Hunsrück bemerkbar werden.
Das Unprätentiöse wird monumental und die Proportionen von dem, was wichtig war, sind anders als in unserer heutigen Zeit. So ist z.B. die Einführung der Fernsprechtechnik mit den dazugehörigen Telegrafenmasten genauso ein Thema wie der Bau der Hunsrückhöhenstraße.
Die Serie war erfolgreich, 15 Millionen Menschen sahen sie bei der Erstausstrahlung in Deutschland. In England wurde sie zur Kultserie und überhaupt war sie ein internationaler Erfolg, obwohl sie in Schwarz-Weiß gedreht wurde und ein sehr langsames Erzähltempo hat.
Beim ersten Sehen verlor ich das Interesse - zu langatmig, zu banal, aber interessanterweise brannte sich das, was ich gesehen hatte, in meine Erinnerung ein und die Bilder blieben im Kopf, z.B. wie Maria Simon und ihre Schwägerin den Film "La Habanera" im Kino sehen und danach den Rest des Abends zu Hause versuchen, die Frisur von Zarah Leander nachzugestalten.
Oder wie Martina aus Berlin ihre frühere Chefin Lucie besuchen will und bei der Fahrt in den Hunsrück in einer Baustelle landet, weil die Hunsrückhöhenstraße noch im Bau ist, obwohl sie auf der Karte aus Berlin schon längst als fertige Straße eingezeichnet ist. "Da sind die in Berlin schon weiter als wir", ruft lachend einer der Arbeiter seinen Kollegen zu, nachdem er auf die Straßenkarte von Martina geschaut hat. Als Dank dafür, dass die Bauarbeiter Martina aus der Baustelle befreien, bietet sie an, für alle Männer sächsische Quarkkeulchen zu backen.
Eindringliche Bilder sind das - Details, die im Gedächtnis hängen bleiben.
Oder wie der junge Paul aus dem Ersten Weltkrieg zurückkommt, zu Fuß über die Hügel geht, bis das Heimatdorf in der Ferne vor ihm erscheint und er schließlich, vor dem Elternhaus angekommen, die Schmiede des Vaters betritt, ohne Begrüßung den Hammer nimmt und in die Arbeit einsteigt, bis irgendwann nach ein paar Minuten der Vater den Hammer sinken lässt, aufschaut und wortkarg nur die drei Worte "Gott sei Dank" hervorbringt, während die Mutter, die inzwischen mit Schürze und Kopftuch vor die Haustür getreten war, still und gefasst zu sich selbst sagt: "Der Paul ist wieder da."
Archaisch wirkt das, rau und spröde - wie grob aus Holz geschlagene Figuren, so karg wie der Hunsrück, der den Menschen viel abverlangt.
Diese Rauheit wird schon im Intro deutlich. Monumental steht da der Schriftzug Heimat in der Landschaft, die Herbstwolken ziehen grau und dunkel darüber, schnell getrieben vom heulenden Wind, dazu die eindringliche Musik von Nikos Mamangakis, die rhythmisch monoton hämmert. Hart und schwer wirkt das. Aber letztendlich hat die Serie überhaupt keine Düsternis, sie löst eher eine Melancholie aus, die man schwer fassen kann, vielleicht, weil vieles von dem, was man dort sieht und was das Leben der Menschen geprägt hat, unwiederbringlich vergangen ist?
Die Figuren werden einem so vertraut, dass man glaubt, sie persönlich zu kennen und ihre Schicksale wirken, als hätte man sie von Verwandten erzählt bekommen, so alltäglich und schlicht sind sie. Es sind ähnliche Geschichten, wie man sie selber als Kind hörte, wenn die Alten von früher erzählten.
Wie gesagt, brauchte ich zwei Anläufe für die Serie. Jahrzehnte später packte es mich und die Wucht der Wirkung, die diese Serie auf mich hatte, führte dazu, dass ich beschloss, die Orte aufzusuchen, an denen das alles gedreht wurde.
Laufersweiler
In diesem Ort hatten wir unser Hotel gebucht und ließen den Abend bei einem gemütlichen Bier schön ausklingen. Beschaulich, fast dörflich ging es dort zu. Nach einer geruhsamen Nacht weckten uns die Hähne.
Am nächsten Morgen fuhren wir nach Lauferseiler, bevor es nach Morbach ging, dem Ort in dem Edgar Reitz, der Schöpfer der Serie, aufwuchs. In seinem Elternhaus ist heute das Café Heimat eingerichtet. Leider war es coronabedingt geschlossen. Das Café ist auch ein Museum, an den Wänden hängen großformatige Fotos aus der Serie. Darüberhinaus kann man dort Bildbände, Bücher und Souvenirs kaufen.
Edgar Reitz und sein Co-Autor Peter Steinbach trugen die Geschehnisse der Serie aus eigenen Erinnerungen sowie Zeitungsartikeln zusammen und ergänzten sie durch Erzählungen der Dorfbewohner von Woppenroth, die sie im Gasthaus von Rudi und Marga Molz interviewten, wo Reitz und Steinbach während ihrer Recherchen logierten. Fiktionales und Dokumentarisches wurden auf diese Weise miteinander verwoben.
Die Figuren der Serie wurden teilweise von Laiendarstellern gespielt, die Reitz bewusst auswählte, um auch durch deren Mundart, das Hunsrückische, eine höhere Authentizität zu erreichen.
Die Serie wurde ins Bundesarchiv aufgenommen und wird heutzutage in der Region für den Fremdenverkehr vermarktet. Die Touristen kommen aus vielen Ländern, die Hinweisschilder an den Orten sind gepflegt, mehrsprachig und wurden mit Mitteln der Europäischen Union finanziert. "Sogar aus Brasilien kommen die Besucher", berichten stolz die Einwohner des Ortes Gehlweiler, der in der Serie zum fiktiven Ort Schabbach wird. Dies ist auf die Staffel "Die andere Heimat" zurückzuführen, die im 19. Jahrhundert spielt und die Auswanderung der Hunsrücker nach Südamerika thematisiert. Busweise werden brasilianische Touristen in den Hunsrück gekarrt und, wie die Einwohner mit Stolz berichten, sind sie vor Begeisterung hin und weg.
Die Identifikation der Hunsrücker mit der Serie ist hoch.
Man kommt sich schon etwas voyeuristisch vor, wenn man durch die Orte Gehlweiler, Woppenroth und andere streift, alles anschaut und fotografiert, aber die Hunsrücker sind es gewohnt und lassen es nicht nur über sich ergehen, sondern reagieren mit Offenheit und erzählen von den Umständen während der Dreharbeiten.
Unten ist das Haus von Maria Schirmer, auch Marie Goot genannt, zu sehen. Das Haus ist einer der Hauptdrehorte des ersten Teils der Serie, in dem Maria Simon ihr ganzes Leben lang bleibt und etliche Schicksalsschläge hinnehmen muss.
Vor dem Haus, auf dem Bild rechts, ist unter den rotbraunen Balken die Schmiede zu sehen.
Nachdem Edgar Reitz drei Teile der Serie gedreht hatte und vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Wiedervereinigung gekommen war, thematisierte er die Zeit der Auswanderung im 19. Jahrhundert. Das vierte und letzte Projekt dieser Serie spielt demnach zeitlich vor den drei Teilen, die später stattfinden. Das Haus der Familie Simon wurde für die Serie umgestaltet, wie man auf dem Bild unten sehen kann.
Die Langsamkeit der Geschehnisse im 19. Jahrhundert ist vielleicht eines der Hauptmerkmale dieses Teils. Menschen mussten in dieser Zeit Geduld haben. Geduld beim Warten auf einen Brief aus Südamerika, der 13 Monate unterwegs ist, Geduld beim Warten auf das Ende eines langen, harten Winters, der kein Ende nehmen will, damit man endlich mit der Feldwirtschaft anfangen kann usw.
Während wir durch das Land fuhren, in dem die Serie gedreht wurde, kamen wir plötzlich an dieser Kulisse vorbei. Sie ist der Eingang der Kirche im alten Schabbach aus dem 19. Jahrhhundert. Diese Kulisse stand einfach so dort auf einem Parkplatz.
Das Günderodehaus
Der Mittelrhein bei Oberwesel spielt eine Rolle in der dritten Staffel "Chronik einer Zeitenwende", da sich Hermann und seine Partnerin dort oberhalb des Rheintals einen Traum erfüllen und das Günderodehaus komplett durchrenovieren, um dort zu leben und einen Ruhepol in ihrem Leben zu finden, das auf den Bühnen und in den Konzertsälen dieser Welt stattfindet.
Der dritte Teil der Serie wirkt ein wenig wie ein deutsches "Dynasty". Die Ruhe der ersten Staffel "Eine deutsche Chronik" ist verschwunden. Vermutlich spiegelt das die Entwicklung der Gesellschaft wider. Mir persönlich hat der erste Teil mit seiner Konzentration auf den Ort und die Langsamkeit des Lebens in dieser Zeit besser gefallen.