Es ist Adventszeit und es zieht mich dann und wann in einen deutschsprachigen Gottesdienst.
Es gibt Kirchen in China und man kann Gottesdienste abhalten.
Aber nach landläufiger Meinung in Deutschland wird die Kirche in China unterdrückt und ihre Vertreter oder Anhänger werden verfolgt.
Zu diesem Bild tragen die Medien bei.
Bei Wikipedia liest man,
dass katholische „Gottesdienste nur in staatlich zugelassenen Kirchen, die zur Chinesisch-Katholisch-Patriotischen-Vereinigung (KPV) gehören, stattfinden dürfen. Dadurch werden die Katholiken genötigt, die Verbundenheit mit dem Heiligen Stuhl zu lösen, da sie den Papst nicht als Kirchenoberhaupt ansehen dürfen. Dem Papst anhängende Katholiken feiern ihre Gottesdienste aus Angst vor Verhaftung im Untergrund.“
(Wikipedia: Römisch-katholische Kirche in China)
Die Wortwahl erschreckt: "nötigen", "Angst vor Verhaftung", "Untergrund".
Da ich mich bei den Gottesdiensten aber völlig sicher und überhaupt nicht bedrückt fühle - sie finden natürlich an einem staatlich zugelassenen Ort statt, aber damit habe ich kein Problem -, will ich einen genaueren Blick auf die Situation werfen:
In der Tat lehnt der Kommunismus Religionen ab, da deren Kraft den Umbau der Weltgesellschaft behindern würde. Karl Marx bemerkte, Religion sei Opium für das Volk, eine Droge die krank macht und schwächt, aber zugleich tröstet und Halt gibt, obwohl sie die Ursache für die Schwächung ist. Bertolt Brecht veranschaulicht dies in seinem "Leben des Galilei" beispielhaft.
Eine Weltherrschaft des Kommunismus hätte garantiert das Ende der Kirche bedeutet. Kein zweites Mal in ihrer Geschichte war sie so eklatant und existenziell bedroht wie durch den Kommunismus im 20. Jahrhundert.
Entsprechend ist das Verhältnis zwischen Kirche und Kommunismus schwer belastet.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren ein Viertel der Landmasse der Erde und ein Drittel der Weltbevölkerung kommunistisch. In Europa waren es sogar zwei Drittel der Landkarte sowie die Hälfte aller Europäer. Einige westeuropäische Staaten wie Italien und Frankreich wurden bis weit in die 70er Jahre vom amerikanischen Geheimdienst als Kippstaaten eingestuft, bei denen jederzeit eine kommunistische Regierung möglich gewesen wäre. Die Kirche musste handeln und sie wählte einen Kardinal aus einem kommunistischen Land zum Papst. Es war Polen, das als erstes osteuropäisches Land mit der damaligen Solidarnosc-Bewegung wackelig wurde und begann, sich gegen die Machthaber aufzulehnen.
Seit den Revolutionen in den osteuropäischen Staaten Ende der 1980er Jahre und dem Zerbrechen der Sowjetunion scheint die Gefahr, der sich die Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg ausgesetzt sah, weitgehend gebannt zu sein.
Vor dem Gottesdienst noch ein Spaziergang im Fuxing-Park neben der Kirche. Bildnis von Marx und Engels - Gegensätze in unmittelbarer Nachbarschaft
Der heutige Konflikt zwischen dem Vatikan und China entzündet sich an der Frage, wer auf chinesischem Territorium die Geschicke der römisch-katholischen Kirche bestimmt. Genau genommen ist es die Frage der Bischofsernennungen.
Rom beharrt darauf, dass nur der Papst Bischöfe ernennen oder bestätigen darf, China will dem Vatikan diesen Einfluss auf seinem Territorium nicht gewähren.
Dafür bietet China an, selbst Bischöfe zu ernennen durch die bereits oben erwähnte Chinesisch-Katholisch-Patriotische-Vereinigung.
Kurz gesagt: Kirche in China ja, aber unter eigener Federführung. Diese Regelung akzeptiert der Vatikan nicht.
Erschwerend kommt hinzu, dass der Vatikan als einziger europäischer Staat diplomatische Beziehungen zu Taiwan pflegt, während alle anderen europäischen Staaten ihre Botschaften in der Volksrepublik haben.
Die Chinesisch-Katholisch-Patriotische-Vereinigung hat einige Bischöfe eingesetzt, die zu 60 % vom Vatikan akzeptiert wurden. Die Haltung Roms ist also ebenfalls nicht so rigide, wie es oberflächlich betrachtet wirkt.
Die evangelische Kirche ist pragmatischer und hat entsprechend weniger Probleme. Die hierarchischen Strukturen wie bei den römisch-katholischen Christen gibt es nicht und die Machtfragen, die der Vatikan stellt, interessieren die Evangelischen auch wenig. Folglich ist eine Anpassung an die Forderungen Pekings leichter möglich. Die evangelische, sogenannte "Drei-Selbst-Kirche" kritisiert weder Regierung noch Partei, sondern versucht mit ihnen eine neue chinesische Gesellschaft aufzubauen. Auch hier sind Gottesdienste nur in registrierten Räumen möglich. Der Grund ist wie bei den Katholiken, dass die Regierung eine Steuerung aus dem Ausland verhindern will. Oberkirchenrat Paul Oppenheim, ausgewiesener Kenner der Kirche im Fernen Osten, äußerte sich bei einem Vortrag in Bad Eilsen über "die Lage der Christen im größten Land der Erde", dass Christen auf keinen Fall unterdrückt oder verfolgt würden.
Die evangelische Kirche Chinas hat 16 Mio. Mitglieder und ist damit die größte evangelische Kirche der Welt.
Chinas Position ist bei Betrachtung seiner Geschichte nachvollziehbar, da es im Jahrhundert der Demütigung von 1840-1946 schutzlos imperialen europäischen und amerikanischen Interessen und japanischen Grausamkeiten ausgeliefert war und nicht mehr Herr im eigenen Land war. Nach diesen traumatisierenden Erfahrungen reagiert man entsprechend ablehnend auf Forderungen nach Einflussmöglichkeiten, die von außen gesteuert werden.
Unklug ist dieses Handeln nicht. Es kann auf keinen Fall schaden, wenn man die Dinge selbst in der Hand behält, nicht nur bei Glaubensfragen. Vielleicht wird Europa mittel- bis langfristig diese Erfahrung noch machen, was passiert, wenn Andere das Ruder in der Hand haben und plötzlich ganz neue Wege einschlagen und man plötzlich wehrlos ist, z.B. in der digitalen Information oder der Verteidigung oder gleich beidem zusammen.
Die Gottesdienste, an denen ich teilnahm, hatten nicht die Atmosphäre von Untergrundgottesdiensten.
Logischerweise müssen wir uns alle wegen der Corona-Pandemie registrieren, aber das muss man auch bei jedem Museumsbesuch etc.
Es gibt in Shanghai eine Deutschsprachige Christliche Gemeinde, die vor zwei Jahrzehnten gegründet wurde und ein umfangreiches, bereicherndes Gemeindeleben anbietet mit Martinsumzügen, Adventsgottesdiensten usw. In die Gemeinde wird man von der evangelischen Pfarrerin und dem katholischen Pfarrer gut integriert, es hat fast familiäre Züge. Es gibt einen Chor, einen Posaunenchor und die Kirche ist ziemlich gut besucht.
Ich spüre hier keinen Unterschied zu einer Gemeinde in Deutschland, es kommt mir eher lebendiger vor als zu Hause, vielleicht auch wegen der Expads, die hier leben und sich eher in der Kirche zusammenfinden als zu Hause, um in Shanghai vernetzt zu sein.
Komentar