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Frühling und Lockdown in Schanghai


Cherry Blossom, Kirschblüten

Cherry Blossom, Kirschblüten

Der Frühling ist da. Er kam prompt in der ersten Märzwoche und er kam mit Kraft. Die Temperaturen stiegen an wie zu Hause im Frühsommer und die Pflanzen und Bäume explodierten. Erstaunlich, dass Kirschbäume innerhalb einer Woche von ihrem winterlichen, blattlosen Zustand in volle Blüte geraten. Aber genauso schnell wie die Pracht kommt, vergeht sie auch wieder.

Magnolia, Magnolie


Jeden Tag blauer Himmel, es ist wunderbar und erinnert mich an südliche Regionen wie Italien oder Südkalifornien, wo man gutes Wetter für eine Selbstverständlichkeit hält und noch nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, dass es auch anders sein könnte, geschweige denn mit denen mitfühlt, die im Norden unter schweren, grauen Wolkendecken darben und frieren müssen.

Das Wetter war einer der Gründe, warum ich aus Deutschland weg wollte. Ich liebe alle Jahreszeiten, aber der mitteleuropäische Winter dauert für mich gefühlte sechs Monate plus. Vor allem ab März sehnt man sich nach wärmeren Temperaturen und Helligkeit, aber die wollen und wollen einfach nicht kommen und jedes Jahr wieder gelangt man zu der Überzeugung, dass der Winter dem Land tief in den Knochen steckt und erst dann wirklich weicht, wenn es schon Frühsommer ist.

Daher freue ich mich hier über jeden Morgen, wenn ich die Vorhänge beiseite ziehe, über die Sonne, die Helligkeit und den blauen Himmel.



Peach Blossom, Pfirsichblüte

Park in Shanghai

Man lümmelt sich in Cafés am Fluss herum und bald wird einem bewusst, dass man seine Kleidung um einige kurze Hosen ergänzen sollte, die man für eine lange Zeit tragen wird.

East Bund Promenade

Coronazahlen steigen an


Parallel zum Frühling verzeichnet Schanghai derzeit den stärksten Anstieg an Coronainfektionen seit Beginn der Pandemie. Was hier als Anstieg angesehen wird, würde in Deutschland zur totalen Entwarnung führen. 300 Infektionen in einem Monat auf 26 Millionen Einwohner. Aber Chinas Null-Covid-Politik sieht diese Entwicklung mit Besorgnis.

Diese ganze Pandemie bringt allmählich belastende Einschränkungen mit sich. Zum einen durfte ich bisher Schanghai noch nicht einmal verlassen und konnte demnach in den vierwöchigen Frühlingsferien das Land nicht bereisen. Dabei hätte es gut getan, mal in eine südliche Provinz zu fliegen, z.B. nach Guangxi, das traumhaft schöne Landschaften hat. Immerhin nannte ich den Blog "Mein China". Mittlerweile müsste ich ihn umbenennen in "Mein Schanghai".

Die zweite, noch krassere Einschränkung ist, dass man nicht nach Hause fliegen kann. Kann man schon, aber zurück kommt man kaum. Wie bei meiner Einreise letzten September gibt es so gut wie keine Flüge und wenn, dann diese völlig überteuerten Charterflüge der Außenhandelskammer für über 3000 Euro. Danach sitzt man mindestens zwei Wochen in einem Quarantänehotel, Kostenpunkt 1000 Euro pro Woche. Hinzu kommen noch die vielen Testungen in Frankfurt und man ist insgesamt ca. 6000 Euro los. Meine Dienststelle, die zum Auswärtigen Amt gehört, sagt strikt, dass sie nur die Pauschale für die Flüge übernehme, also weniger als 2000 Euro.


Man muss aus ökologischen Gründen nicht unbedingt hin- und herfliegen. Wenn man in die Ferne geht, gehört es auch dazu, dass man richtig Abstand bekommt und für einen längeren Zeitraum nicht nach Hause zurückkehrt, aber bisweilen zwingen einen doch persönliche oder gesundheitliche Gründe zu einer Heimreise und es ist beruhigend, wenn man weiß, dass man jederzeit die Möglichkeit hätte, nach Hause zu kommen, auch wenn man es gar nicht nutzt. Als ich nach China ging, sah es so aus, als würde die Pandemie innerhalb des nächsten halben Jahres zu Ende gehen. Das war ein Irrtum.


In meinem Viertel ist fast alles geschlossen.

Yichuan Lu, Rd, Putuo, Shanghai

Leere Städte - an Sonntagen in Deutschland ein gewohnter Anblick, in China gibt es das gar nicht. Solche Anblicke bekommt man nur kurz vor dem Lockdown.

empty Underground Shanghai, Zhongshan Park
leere Passagen an U-Bahnhöfen

Hongqiao Road, Underground Station, Shanghai

Shanghai, Metro line 4

Normalerweise sehen die U-Bahnhöfe so aus

Metro Station, Underground Station, Zhongshan Park, Shanghai

Metro station underground station People's Square, Shanghai

Metro station underground station People's Square, Shanghai

Online-Unterricht


Seit Montag unterrichte ich online. Es gibt hier die gleichen Schwierigkeiten wie in Deutschland. Manche Schüler profitieren davon, anderen fällt es schwer. Die Schüler sagen, dass weniger Druck herrsche, weil Fächer wie Kunst und Sport wegfallen und die Pausen wenigstens richtige Pausen sind, weil nicht noch Gymnastik gemacht werden muss.


Hamsterkäufe - wir wurden gewarnt, dass schrittweise alle Wohnviertel in den nächsten Tagen heruntergefahren werden, aber irgendwie verläuft hier in Schanghai alles doch sehr moderat. Vielleicht waren meine Einkäufe gar nicht notwendig. Verhungern wird man jedenfalls nicht. Es gibt ja auch noch Lieferservices.


Wenn das Wetter gut ist, ist die Ruhe eigentlich schön.

Morgens wecken mich die Vögel, nach Schulschluss spielen die Kinder auf dem Hof des Nachbarhauses und helles Lachen klingt herauf, abends gehe ich auf den Sportplatz der Schule, jogge meine Runden und sehe dabei die erleuchteten Stuben der Wohnhäuser, aus deren weit geöffneten Fenstern an warmen Abenden Stimmen und Musik hörbar sind. Auf einer Dachterrasse steht jemand schemenhaft im Dunkeln in der lauen Abendluft und sieht mir schweigend bei meinen Runden zu. Eine seltsam heile Welt ist das und mich durchströmt eine Sehnsucht, die ich nur schwer fassen kann - vielleicht nach Kindertagen, in denen man in Deutschland noch ähnlich lebte.

Fast dörflich mutet das an, als wäre die Zeit stehen geblieben in der 26-Millionen-Metropole.

In meinem Viertel kennt man mich, ich bin der Europäer. Wenn ich einen Laden betrete, weiß man schon, was ich kaufen möchte und freut sich, wenn ich meinen Wunsch auf Chinesisch formuliere.

China löst Sehnsüchte nach Vergessenem aus. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht damit. Ich wusste gar nicht, dass es solche Sehnsüchte überhaupt gibt.

Jetzt, am fortgeschrittenen Abend, wo ich diese Zeilen am Schreibtisch bei weit geöffnetem Fenster und sommerlichen Temperaturen im Frühling tippe, höre ich chinesische Musik herüberklingen und spüre in der Fremde Geborgenheit.







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