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Im Krankenhaus in China



Niedergelassene Ärzte mit eigener Praxis gibt es eher in ländlichen Gegenden. In der Stadt gehen alle Chinesen ins Krankenhaus, wenn sie einen Arzt aufsuchen - auch mit harmlosen Erkrankungen. Wenn ein junger Chinese sagt, dass er erst sechsmal in seinem Leben im Krankenhaus war, klingt das für einen Deutschen erschreckend - "Sechsmal??? So krank warst du schon?" - der Deutsche assoziiert mit Krankenhäusern Schwerwiegendes. In Wirklichkeit hatte der junge Chinese in seinem Leben erst sechs hartnäckige Erkältungen. Der normale Arztbesuch geht bei uns in eine Arztpraxis, in China in ein Krankenhaus.


Im chinesischen Krankenhaus findet man Allgemeinmediziner und Spezialisten unter einem Dach. Überweisungen wie in Deutschland, die zu einer Facharztpraxis oder ins Krankenhaus führen, was wieder Zeit kostet, weil man wieder Termine ausmachen muss, wieder hinlaufen muss usw., gibt es in China nicht. Wenn im chinesischen Krankenhaus der Allgemeinmediziner nicht weiter helfen kann, schickt er den Patienten zu den Spezialisten im gleichen Haus. Dort wird man am gleichen Tag untersucht ohne wochen- oder monatelange Wartezeiten, auch wenn es sich um aufwändigere Verfahren handelt wie z.B. eine CT oder Magenspiegelung. Die Apotheke gibt es auch gleich im Haus, aber nicht als privat geführtes Unternehmen, sondern als Teil des Krankenhauses. Es sind mehrere Schalter, an denen man sich die Medikamente abholen kann, die der Arzt verschrieben hat. Auch das erspart dem Patienten viel Lauferei. So schlecht finde ich das System nicht. Das Krankenhaus ist der Ort, an dem alle Krankheiten behandelt werden, eine Art Gesundheitszentrum.


Es gibt in Schanghai auch westliche Kliniken für Expads, die Angst vor den chinesischen Krankenhäusern haben. Die Sprachbarriere tut dabei ihr übriges, denn für einen Westler ohne Chinesischkenntnisse ist es definitiv unmöglich, sich ohne Hilfe zurechtzufinden. Chinesen sprechen selten Englisch und auf Chinesisch schaffen die Wrestler es nicht, sich zu registrieren, auf den Fluren zurecht zu finden usw.

In den westlichen Krankhäusern gibt es englischsprachige Ärzte, die Kommunikation verläuft reibungslos und diese Kliniken strotzen vor Service und ähneln eher einem Hotel. Man bekommt Einzelzimmer, kann sein Essen aus einem westlichen Menü auswählen, das Badezimmer ist mit Marmor gefliest usw.

Dieser Service hat einen sehr hohen Preis und man hat das Gefühl, in einer Klinik für Schönheitschirurgie in Hollywood gelandet zu sein.

Man sollte unbedingt vorher abklären, ob die Kosten von der Krankenversicherung übernommen werden. In meinem Fall nur in Höhe der Gebührenordnung für deutsche Ärzte. Die Lücke dazwischen ist riesig.


Wenigstens eine gute Aussicht



Eigentlich wäre es gut, in ein chinesisches Krankenhaus zu gehen, denn es ist DEUTLICH billiger, auch billiger als in Deutschland und ich bin hier, um Land und Leute kennenzulernen, was in einer chinesischen Klinik deutlich besser funktioniert, da die Expad-Kliniken eine Parallelwelt zum chinesischen Gesundheitssystem sind.

Die Ärzte in den chinesischen Krankenhäusern sind gut und auch in den westlichen Kliniken gibt es auch fast nur chinesische Ärzte. Der Unterschied ist, dass die Ärzte im westlichen Krankenhaus ziemlich einwandfreies Englisch sprechen. Ich entschied mich genau dafür, weil ich nicht auf die Hilfe meiner Kollegen angewiesen sein wollte. Zum einen hätten sie ihre Arbeit ruhen lassen müssen, um mich zu begleiten, womit bereits zwei Arbeitskräfte ausgefallen wären, zum anderen fällt es mir als Westler auch schwer über meinen Gesundheitszustand bzw. meine Krankheiten mit anderen zu sprechen, die mir nicht nahe stehen. Außerdem wird in China Diskretion nicht so wichtig genommen wie bei uns. Man ist Teil einer Gruppe und die Gruppe interessiert sich für alles, aber ich wollte meinen Gesundheitszustand nicht zu einer öffentlichen Sache machen.

Dieser Privatheitsgedanke ist europäisch, hat vielleicht etwas mit der abendländischen Kultur zu tun, mit der Überhöhung des Individuums. Im Gegensatz dazu stellt die chinesische Gesellschaftsvorstellung die Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Der Gegensatz zwischen Individuum und Gemeinschaft scheint mir einer der größten Unterschiede zwischen beiden Kulturen zu sein. Und für beide Seiten ist jeweils die andere schwer nachvollziehbar.

In Deutschland ist die Privatsphäre im Krankheitsfall sogar gesetzlich geschützt, man muss dem Arbeitgeber nicht den Grund für seine Krankmeldung nennen. In China kenne ich die Gesetzeslage nicht, aber ich habe den Eindruck, dass man gern wissen möchte, was einem fehlt. Das ist nicht bloße Neugierde als Selbstzweck, sondern es hat auch positive Seiten, denn Chinesen unterstützen und helfen und halten diese Hilfe für eine vollkommene Selbstverständlichkeit. Trotz der guten Absicht ist das ein kultureller Unterschied, den ich nur schwer überwinden kann.


Ich vermute, dass es vielen Europäern, zumindest Deutschen so gehen würde, obwohl viele auch den Verlust von Gemeinschaft beklagen.


Welche Vorteile die Gemeinschaft haben kann, zeigt folgende Geschichte: Mein chinesischer Freund lebte als Kind in einer der üblichen Wohnstraßen Schanghais, wo jeder jeden kannte, sich das Leben auf der Straße abspielte, wo die Kinder gemeinsam draußen ihre Hausaufgaben machten und jeder Nachbar eine Nenn-Tante oder ein Nenn-Onkel war, wo die Türen zu den Häusern im Winter wie im Sommer offen standen und Privates und Öffentliches irgendwie ineinander übergingen. In genau dieser Umgebung hatte mein Freund, als er ein kleiner Junge war, einen Unfall, der ihn fast das Leben kostete, weil er dabei beinahe verblutet wäre. Dieser Unfall wurde in der Nachbarschaft zur Chefsache und eine große Hilfsbereitschaft unterstützte die Familie. Alle halfen, wo sie konnten, brachten dem Jungen, als er aus dem Krankenhaus zurückkam, Speisen, die nach traditioneller chinesischer Medizin die Blutbildung anregen, damit das Kind bald wieder gesund wird, nahmen der Mutter die Arbeit ab usw.


Vielleicht übernimmt das soziale Gefüge in China den Part, den wir Deutschen bei einem vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnis für wichtig halten.


Im chinesischen Gesundheitssystem gibt es das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Patienten und Arzt nicht, da man viel seltener zum Arzt, also ins Krankenhaus geht. Die Krankheit wird hier sachlicher betrachtet, was nicht heißt, dass man den Menschen nicht als Ganzes im Blick hat. In Deutschland wird der Arzt für manchen älteren Menschen zum Vertrauten, den man oft aufsucht, auch um Einsamkeit zu überwinden.


Die Kosten für meine Behandlung im Expad-Krankenhaus waren so hoch, dass ich in normalen Zeiten ohne Corona dafür ungefähr sechs bis sieben Flüge zwischen Deutschland und China bezahlen könnte.

Das sagt nicht viel aus, aber vielleicht der Vergleich, dass diese Behandlung ein Mehrfaches von dem gekostet hat, was ich in Deutschland bezahlt hätte. Man kann über Preise in Krankenhäusern auch verhandeln und zwar nicht nur um Kommastellen. Aber das muss man erst mal drauf haben.

Am liebsten wäre ich in den Frühlingsferien nach Deutschland geflogen, auch um Arztbesuche zu machen und um einfach mal wieder meine Freunde zu sehen, aber Corona hat die Welt nach wie vor fest im Griff und wenn man China einmal verlässt, kommt man nur sehr schwer wieder hinein.






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