Xinjiang – Chinas wildes Grenzland. Die Provinz liegt Tausende Kilometer von der geschäftigen Ostküste entfernt und der Flug von Schanghai in die Hauptstadt Ürümqi (Wulumuqi) dauert etwa fünf bis sechs Stunden. Von dort sind es noch zwei weitere Flugstunden bis zur uralten Oasenstadt Kaschgar, am westlichsten Rand Chinas. Interessant dabei: In Westchina ist man fast näher an Deutschland als an Schanghai.
Xinjiang gilt als eines der faszinierendsten Reiseziele des Landes. Seit Jahrtausenden ein Knotenpunkt der alten Seidenstraße, hat sich die Region zu einem kulturellen und religiösen Schmelztiegel entwickelt, geprägt von Einflüssen aus Zentralasien, dem Nahen Osten und China.
Xinjiang ist geprägt von einer Mischung aus ethnischen Minderheiten wie Uiguren, Mongolen, Kirgisen, Kasachen, Tadschiken und Tataren. Deren Kulturen verleihen der Region ein facettenreiches, zentralasiatisches Flair, das für viele Han-Chinesen fast fremd wirkt. Chinesisch ist zwar allgegenwärtig, alle Informationen sind auch in dieser Sprache angegeben, doch im Alltag stößt man oft auf völlig andere Sprachen oder stark dialektal gefärbtes Chinesisch.
Ein persönliches Erlebnis zeigt die sprachlichen Unterschiede: Eine ältere Kasachin fragte uns neugierig nach unserer Herkunft. Meine Antwort „德國“ (De Guo – Deutschland) war ihr fremd. Erst ihre Tochter konnte helfen, indem sie ins Kasachische übersetzte – „Германия“ (Germaniya), das aus dem Russischen übernommen wurde. Solche Momente zeigen, wie lebendig und vielfältig die kulturellen Wurzeln dieser Region sind.
Wulumuqi - die Hauptstadt Xinjiangs
Der zentrale Touristen-Punkt der Provinzhauptstadt Wulumuqi ist der Erdaoqiao-Platz, mit dem großen Basar, der Erdaoqiao-Moschee, unzähligen Restaurants und Einkaufsmöglichkeiten.
In den Straßen rund um den Platz begegnet Besuchern immer wieder die Figur Afanti – eine bekannte Puppenspiel-Ikone des chinesischen Kinderfernsehens, ähnlich unserem Sandmännchen. Afanti ist ein turkstämmiger Kaufmann, der auf seinem Esel durchs Land zieht und mit Witz und Scharfsinn gegen Ungerechtigkeit kämpft. Er steht den Mächtigen entgegen und setzt sich stets für die einfachen Leute ein.
Seine Figur wurzelt in uigurischen Volkserzählungen, die weit über Xinjiang hinausgehen. In ganz Zentralasien finden sich Geschichten von Afanti auch in den Traditionen der Kasachen, Usbeken, Kirgisen und Tadschiken. Aber auch darüber hinaus ist er bekannt und hat vielfältige Namen wegen der Sprachvielfalt der Regionen. Sein Bekanntheitsgrad reicht bis in den Balkan und dank chinesischer Kindersendungen selbst bis an die Ostküste Chinas. Sein historisches Vorbild, der legendäre Hodscha Nasreddin, soll im 13. oder 14. Jahrhundert gelebt haben; ein Mausoleum im türkischen Akşehir erinnert an ihn.
Die Erdaoqiao-Moschee, die ebenfalls an diesem Platz steht, wird derzeit nicht als Gebetsraum genutzt. Religiöse Institutionen und Aktivitäten werden in Xinjaing als Folge von uigurischen Unruhen und Terroranschlägen stark überwacht.
Besonders schwerwiegend waren die Ereignisse in Wulumuqi im Jahr 2009, bei denen es zu massiven Ausschreitungen zwischen Uiguren und Han-Chinesen kam. 184 Tote und zahlreiche Verletzte waren die Folge. Im Mai 2014 ereignete sich wieder ein Anschlag auf diesem Platz. Diesmal forderte ein schwerer Bombenanschlag 36 Todesopfer und wieder viele Verletzte. Im Kampf gegen Terrorismus und Separatismus wurden über Xinjiang seitdem verstärkte Sicherheitsmaßnahmen verhängt. Die Liste der Anschläge ist lang, die Anzahl der Todesopfer hoch. In Deutschland sind die Häufigkeit und Ausmaße dieser Ereignisse nahezu unbekannt. Besonders erschreckend war das Massaker am Bahnhof von Kunming im Jahr 2014 mit 33 Toten, bei dem vollständig schwarz vermummte Terroristen mit langen Krummsäbeln in die Massen schlugen, die wegen der Absperrungen nicht entkommen konnten.
Seit ca. 10 Jahren ist Ruhe in die Terrorismus-Region eingekehrt durch drastische Maßnahmen. Während unserer Fahrt fühlten wir uns angstfrei, aber im Laufe unserer Reise wurden wir verschiedene Male daran erinnert, wie stark diese Provinz erschüttert wurde. Die Sicherheitsvorkehrungen sind spürbar, etwa bei den Kontrollen an Tankstellen: Einfahrende Fahrzeuge müssen erst die Papiere zeigen und den Kofferraum öffnen, bevor sich die Schranke hebt – eine Erinnerung daran, dass es einst üblich war, Tankstellen als Anschlagsziele zu wählen. Selbst das Tanken wird über die Ausweisnummer registriert; wer große Mengen Kraftstoff tankt, gerät unter Verdacht.
Auch Menschen, denen wir bei der Reise begegneten, erzählten viel über diese Zeit. Die Erinnerungen sind lebendig und klingen, als wäre all dies erst zwei Jahre vergangen.
In anderen Teilen Chinas ist der Umgang mit dem Islam entspannter. In Dunhuang, einer Stadt in der Provinz Gansu, ruft der Muezzin zum Gebet und in Städten wie Quanzhou oder Xi’an, dem früheren Kaisersitz, können Muslime ihren Glauben weitgehend frei ausüben. Die muslimischen Minderheiten Chinas – darunter die Hui, Kasachen, Kirgisen und Tadschiken – erleben unterschiedliche Freiheiten. Während die Hui-Muslime, die noch nie in Terror verwickelt waren, kaum Einschränkungen erfahren, stehen die Uiguren stark unter Druck.
China hat übrigens insgesamt neun muslimische Minderheiten: Hui, Uiguren, Kasachen, Tadschiken, Kirgisen, Dongxiang, Salar, Bonan, Bao'an.
China gewährt Glaubensfreiheit, was man sich in Deutschland kaum vorstellen kann. Dennoch gibt es nicht viele Kirchen, Moscheen oder Tempel. Aber in den vorhandenen Stätten wird Religion sichtbar praktiziert. Buddhistische Tempel sind brechend voll, vor allem mit jungen Menschen, die zum Beten kommen. Das Christentum hat in China viele Anhänger. Die Zahl der evangelischen Gläubigen ist die größte der Welt, was aber der Bevölkerungsmenge Chinas geschuldet ist. Prozentual auf die Gesamtbevölkerung gerechnet ist die Anzahl von Christen innerhalb Chinas gering. Das Verhältnis der katholischen Kirche zu China ist komplizierter. China will sich in keinem Bereich von außen reinreden lassen - das hat historische Gründe (Willst du mehr darüber wissen? Klick hier.) - die katholische Kirche wird aber von Rom aus geleitet.
Arabische Schrift ist in Xinjiang allgegenwärtig. Uigurisch wird in China mit dem arabischen Alphabet verschriftet. Die Region ist zweisprachig, entsprechend sind alle Beschilderungen in Chinesisch und Uigurisch. Uiguren leben auch außerhalb Chinas in den ehemaligen sowjetischen Republiken. Dort wird Uigurisch mit kyrillischem Alphabet verschriftet. Die ursprünglich eigene uigurische Schrift wurde von der arabischen und der kyrillischen Schrift verdrängt.
Die arabische Schrift und der Islam breiteten sich im zentralasiatischen Raum durch kriegerische und kulturelle Einflüsse aus, unter anderem durch die Schlacht am Talas im heutigen Kirgisistan, bei der 751 n.Chr. chinesische Truppen der Tang-Dynastie den arabischen Truppen des Abbasiden-Kalifats unterlagen. Diese Schlacht war eine der Entscheidungsschlachten der Weltgeschichte. Sie markierte den Beginn der stetig fortschreitenden Islamisierung Zentralasiens.
Später festigte sich die Verbreitung des Islam durch den Handel. Städte wie Samarkand, Buchara und Merv an der Seidenstraße wurden zu Zentren islamischen Handels und Wissenschaft.
Um die Jahrtausendwende nahmen die Herrscher von Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisistan und Kasachstan den Islam als Staatsreligion an. Später kamen die Seldschuken, die die Islamisierung förderten. Ihr Einflussbereich reichte bis nach Xinjiang hinein.
Will man mehr über die Kultur der Region erfahren, ist auf jeden Fall das Xinjiang Uyghur Autonomous Region Museum in Wulumuqi zu empfehlen. Es zeigt 28.000 Artefakte auf 17.000 qm Fläche und zählt zu den bedeutenden Museen Chinas mit jährlich einer Million Besucher.
In vier Dauerausstellungen werden Objekte aus Xinjiang gezeigt, alte ethnische Bräuche, Mumien, Kleidungen etc. Ein rein uigurisches Museum ist es nicht, das würde der multiethnischen Kultur der Region nicht gerecht werden.
Von Wulumuqi nach Kaschgar
Zwei weitere Flugstunden von Wulumuqi entfernt, liegt Kaschgar, die westlichste Stadt Chinas, am Rande des Tarim-Beckens zwischen Pamir-Gebirge und der Taklamakan-Wüste. Wegen dieser Lage war Kaschgar eine wichtige Stadt an der Seidenstraße. In westlicher Richtung ging es in die Berge Richtung Afghanistan, Pakistan und Tadschikistan, in östlicher Richtung lag vor den Karawanen die berüchtigte Taklamakan und dahinter begann das alte China. Viele historische Berichte und Legenden erzählen von Karawanen und Reisenden, die durch die Wüste gehen wollten und nie wieder zurückkehrten. Um die Durchquerung der Taklamakan zu vermeiden, führen von Kaschgar zwei Wege, einer nördlich und einer südlich, an ihr entlang. Am östlichen Ende der Wüste kommen beide Wege in der Oasenstadt Dunhuang wieder zusammen.
Unser Flug nach Kaschgar führte am Nordrand der Taklamakan entlang. Unter uns die tödlichste aller Wüsten, ...
... nördlich von uns erstreckte sich das Gebirge Tian Shan, die Himmelsberge, die das Tarimbecken nach Norden abgrenzen, eine Bergkette mit Siebentausendern. Links auf dem Foto ist eine Bergspitze erkennbar, die in etwa dem Matterhorn ähnelt. Es ist der Berg Khan Tengri, auf deutsch: Khan des Himmels oder auch Himmelsherrscher, mit 7010 Metern Höhe.
Der blaue Punkt auf der Karte ist Kaschgar. Deutlich erkennbar ist die Nähe der ehemaligen Sowjetrepubliken, die heute selbständige Nationen sind: Kirgisistan und Tadschikistan. Auch Afghanistan und Pakistan grenzen an China.
Von Kaschgar mit dem Auto ins Pamir-Gebirge auf einer der höchsten Straßen der Welt
Die Fahrt von Kaschgar ins Pamir-Gebirge verläuft über die nationale Fernstraße G314, eine bedeutende Straße des chinesischen Nationalstraßennetzes, die sich über mehr als 1.700 Kilometer durch einige der entlegensten und kulturell vielfältigsten Regionen des Landes erstreckt.
Für Abenteuerliebhaber ist die G314 eine herausfordernde und spannende Reise, da sie durch abgelegene und oft schwer zugängliche Regionen führt und die Möglichkeit bietet, das weniger bekannte und wildere China zu entdecken.
Als Teil der historischen Seidenstraße ist die G314 tief in der Geschichte der Handelsbeziehungen zwischen Ost und West verwurzelt.
Besonders der Abschnitt über den Khunjerab-Pass (4.693 Meter über dem Meeresspiegel) bietet atemberaubende Ausblicke auf schneebedeckte Gipfel und tiefe Täler. Es ist eine der höchsten Straßen der Welt.
Passkontrolle - es geht in Grenzregionen.
Die Nationalstraße G314, bekannt als Karakoram Highway bietet eine Verbindung nach Afghanistan, Tadschikistan und Pakistan – Länder, deren Grenzen an China stoßen. Die Passkontrollen beginnen jedoch schon tief in der Region, viele Hundert Kilometer vor den eigentlichen Grenzübergängen. Selbst nach der Kontrolle ist die Einreise in diese Länder nicht einfach, da es weitere Landesgrenzen und Sperrungen gibt.
Zum Beispiel Afghanistan: Der Weg dorthin führt über den extremen Wakhjir-Pass auf 4.923 Metern Höhe, dem höchsten Grenzübergang der Welt. Diese Überquerung ist jedoch nichts für Fahrzeuge; die afghanische Seite bietet nur einen unbefestigten Pfad und auch die chinesische Seite ist nur mit Allradantrieb befahrbar - Alte-Seidenstraßen-Feeling pur. Für Ausländer ist dieser Pass ohnehin gesperrt (Stand 2024). Wer ihn erreicht, befindet sich an den Ausläufern des Hindukush – einer imposanten Gebirgskette, die Afghanistan und Pakistan trennt und sich bis zur chinesischen Grenze erstreckt. In Deutschland ist der Hindukush spätestens seit den Militär-Einsätzen in Afghanistan ein Begriff.
Richtung Pakistan gibt es den Kunjirap-Pass, einen befestigten und beeindruckend hohen Grenzübergang auf 4.693 Metern. Als einer der höchsten asphaltierten Pässe der Welt bietet er eine spektakuläre Verbindung zwischen China und Pakistan und ist der einzige offizielle Grenzübergang zwischen beiden Ländern.
Tor zwischen China und Pakistan auf dem Kunjirap-Pass.
Von Martin Jung - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=28372711
Sauerstoffflaschen? Das geht in Chinas Gebirgen oft nicht ohne. Oft bringen einen die Straßen auf Höhen, die in Europa nur wenige Gipfel erreichen. Plötzlich findet man sich auf über 3.000 Metern wieder, umgeben von schneebedeckten 7.000ern und mächtigen Gletschern. Man spürt bei der Fahrt kaum, dass es immer höher geht. Erst ein Hinweisschild erinnert daran, dass man mittlerweile auf 4.000 Metern ist – ein unerwarteter Aha-Moment, der die Größe und Erhabenheit dieser Region unterstreicht.
Am Ufer des beeindruckenden Baisha-Sees auf 3.315 Metern Höhe zeigt sich die Landschaft in einem einzigartigen Farbenspiel: „Baisha“, was „weißer Sand“ bedeutet, verweist auf die hellen, fast leuchtenden Dünen, die wie sanfte Wellen an das glitzernde Wasser stoßen. Die G314 führt direkt am Ufer entlang und an bestimmten Haltepunkten kann man bequem zum Wasser hinuntergehen. Händler verkaufen Snacks, kleine Restaurants laden zur Rast ein, und das Ufer bietet spannende Fotomöglichkeiten mit Yaks oder Pferden.
Hier sieht es fast so aus, als ob die weißen Sanddünen direkt in den See rutschen.
Weiter geht die Fahrt, wir sind weiterhin auf ungefähr 4000 Metern Höhe. Die Landschaft beeindruckt., die Berge sind spektakuär. Einer davon begleitet uns eine ganze Zeit. Es ist der Muztagata, der mit 7509 Metern dritthöchste Berg des Pamir-Gebirges. Sein Name ist uigurisch und bedeutet "Vater der Eisberge".
Bald wird die G314 wegen ihrer landschaftlichen Schönheit zu einer Hauptsehenswürdigkeiten Chinas mit AAAAA, der höchsten Kategorie für chinesische Touristenziele. Damit befindet sich diese Straße und ihre Umgebung in derselben touristischen Liga wie die Verbotene Stadt und die Chinesische Mauer.
Bis zur pakistanischen Grenze haben wir es nicht geschafft. Das wäre zu weit geworden. Man hätte dafür eine weitere Übernachtung einbauen müssen. Wir hatten noch den weiten Rückweg nach Kaschgar vor uns.
Von Kaschgar nach Kuqa
Am nächsten Tag ging es von Kashgar nach Kuqa mit einem kleinen Flugzeug.
Links von uns die Gebirgskette Tian Shan, die Himmelsberge, deren Schnee die Ebene zwischen den Bergen und der Taklamakan bewohnbar macht.
Nachdem wir gelandet waren, wunderten wir uns, dass nur eine Handvoll von Leuten Anstalten machte, auszusteigen, bis uns klar wurde, dass dieser kleine Flughafen nur eine Art Haltestelle ist und alle andern weiter fliegen.
Der Flughafen in Kuqa hat nur einen Raum mit diesem kleinen Gepäckband. Insgesamt kamen 6-8 Taschen heraus. Es gibt keinen Schalter, kein Personal, nichts. Es wirkte wie ein kleiner Bahnhof in Deutschland.
Draußen vor dem Flughafen standen ein paar Taxis unter blühenden Bäumen. Die Fahrer rauchten und plauderten. Dörfliche Atmosphäre.
Ich als Europäer war so etwas wie ein Aufmerksamkeitsmagnet.
Kuqa war eines der wichtigsten buddhistischen Zentren auf der Seidenstraße. Vor allem in den ersten Jahrhunderten nach Christus, als der Buddhismus über die Seidenstraße nach China gelangte, entwickelte sich Kuqa zu einem religiösen und kulturellen Knotenpunkt.
Die Stadt ist berühmt für ihre buddhistischen Höhlen von Kizil, die einen der ältesten erhaltenen buddhistischen Höhlenkomplexe in China darstellen. Diese Höhlen enthalten Wandmalereien, die Einflüsse aus Indien, Persien und Zentralasien widerspiegeln.
In der kleinen Stadt fanden wir ein Café, das eine Gruppe junger Leute aus verschiedenen chinesichen Provinzen eingerichtet hatte. Man könnte sie als Aussteiger bezeichnen und das Café als Kollektiv-Projekt. Die bunt zusammengewürfelte Truppe, die sich dort eingefunden hatte, bestand aus jungen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Biografie: Ein Pärchen war dort nach einer monatelangen Reise mit dem Wohnmobil durch China hängen geblieben. Die beiden hatten während ihres Roadtrips Dinge gesehen, die die meisten Chinesen zwar kennen, aber doch nie zu Gesicht bekommen.
Eine andere junge Frau hatte ihren Job als IT-Ingenieurin in Peking an den Nagel gehängt, weil ihr dieses Leben zu stressig war. Jetzt lebt sie hier mit ihrem Mann und ihrem Baby. Wieder ein anderer kam mit dem Motorrad aus der südlichen Provinz Guangdong und war bereits 4000 Kilometer gefahren, ein anderer kam mit dem Fahrrad aus der Provinz Shaanxi und eine junge Frau aus Hong Kong hatte nach ihrem Studium ein Gap-Jahr eingelegt und plante, hier für drei Monate zu bleiben. Junge Künstler verbringen ihre Zeit hier im Café, in dem sie ihre Bilder ausstellen und verkaufen.
"Abends", so erzählten sie uns, "kochen wir alle gemeinsam und viele Feunde kommen dazu. Jeder bringt etwas zu essen oder zu trinken mit."
Aussteigertum in der Volksrepublik. Jung, kreativ und unkonventionell. Angetrieben von einem Traum von Freiheit, einem Ausbrechen aus gesellschaftlichen Normen, die so viele junge Chinesen nicht mehr akzeptieren wollen: Heiraten, Kinder kriegen, den Vorstellungen der Eltern gerecht werden, welche immer noch den Sinn des Lebens in der Fortpflanzung der Familie sehen, konfuzianischen Regeln folgen, die Respekt gegenüber den Alten fordern, denen man alles zu verdanken hat. Hier in dem Café macht sich wie überall im Lande ein völlig neues Lebensgefühl breit, das es vor 20 Jahren definitiv nirgends in China so gegeben hätte.
Der Vorteil dieser kleinen Provinzstadt am Ende Chinas ist, dass hier die jungen Menschen freier sind, weil sie viele Flugstunden von ihren ursprünglichen Orten entfernt sind. Hier spürte ich im Kleinen ein Lebensgefühl wie in Berlin, wohin auch Leute gehen, die Konventionen entkommen wollen.
Es gibt in China auch andere Orte, in die es junge, freiheitssuchende Menschen zieht. Chengdu und Chongqing sind Städte mit Kunst- , Streetart- , Homosexuellen- und Clubszene. Wenn das eigene Kind aus der Provinz in eine dieser Städte, z.B. nach Schanghai geht, hat das fast schon Bekenntnischarakter. Irgendetwas sucht der junge Mensch dort, was er im Heimatort nicht findet.
Ich habe in China viele Jugendliche getroffen, die anders leben wollen als ihre Eltern und Großeltern. Für die Alten ist der Prozess schmerzhaft, weil ihre Vorstellungen und Werte verschwinden. Für die Jungen ist es Befreiung, aber auch schlechtes Gewissen, denn der konfuzianische Gedanke sitzt auch bei dieser Generation immer noch ganz tief. Sicher ist jedenfalls, dass sich die chinesische Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten deutlich verändern wird.
In diesem Café in Kuqa trafen wir auch einen jungen Mann, der in der Volksbefreiungsarmee diente und damals als Soldat erlebte, wie Terroranschläge auch diesen kleinen Ort erschütterten und er bei den Rettungsaktionen eingesetzt wurde. Jetzt arbeitet auch er in diesem Café.
Foto und Malerei von dem Wohnmobil, mit dem zwei der Café-Betreiber durch das ganze riesige Land gefahren sind - ein Stillleben von Freiheit
Ihre Reise brachte sie auch nach Tibet.
Während wir im Café saßen und plauderten, ging über der Stadt ein heftiger Wolkenbruch nieder. Am Rande der Wüste regnet es fast nie und es gibt keine Kanalisation. Binnen kürzester Zeit wurden die Straßen zu Flüssen.
Die Große Kuqa-Moschee wurde 1559 erbaut und ist heute die zweitgrößte Moschee nach der Id Kah Moschee in Kaschgar.
Wie überall in Xinjiang wird auch diese Moschee bis auf weiteres nicht genutzt.
In der Nähe von Kuqa gibt es eine Schlucht, den Xinjiang Kuqa Grand Canyon National Geopark.
Der Kuqa Grand Canyon befindet sich in den Ausläufern des Tian Shan-Gebirges und erstreckt sich über etwa 5,5 Kilometer.
Die roten Sandsteinfelsen der Schlucht haben durch Erosion über Jahrmillionen beeindruckende Formen angenommen. Die Klippen und Schluchten in diesem Canyon sind bis zu 200 Meter tief, und die schmalen Wege bieten atemberaubende Anblicke.
Der Canyon ist bekannt für seine rot gefärbten Gesteinsformationen, die durch die Einwirkung von Wind und Wasser kunstvolle Formen angenommen haben. Die Petra-Schlucht (Siq) in Jordanien hat ähnliche, durch Erosion geformte Sandsteinwände und enge Pfade, die ein malerisches und mystisches Erscheinungsbild vermitteln.
G217 - die legendäre Duku-Road begegnet uns schon hier am Kuqa Grand Canynon. Hier beginnt das Tian Shan-Gebirge, durch das diese Straße führt.
Eigentlich wollten wir schon hier auf diese chinesische Traumstraße, aber starke Regenfälle in den Bergen und damit verbundene mögliche Erdrutsche haben uns davon abgehalten. Statt dessen fliegen wir später einen Teil der Reise und werden erst ab dem Nalati-Grassland auf diese legendäre Straße stoßen.
Wenn man schon auf Kamelen durch die Schlucht reiten kann, sollte man es tun. Allerdings ein ziemlich kostspieliges Vergnügen. 40 Euro pro Person.
Mich erinnerte dieses Erlebnis stark an Erzählungen aus 1001 Nacht, Ali Baba und die 40 Räuber oder an das Tal der Diamanten mit dem gigantischen Vogel Roc aus Sindbads zweiter Reise.
Von Kuqa mit dem Flieger über die Himmelsberge in die kasachische Stadt Yining
Yining ist die Hauptstadt des Ili Kasachischen Autonomen Bezirks und beherbergt eine vielfältige Bevölkerung, darunter Uiguren, Kasachen, Mongolen, Han-Chinesen und Russen. Diese ethnische Vielfalt spiegelt sich in der Kultur und dem Lebensstil der Stadt wider.
Yining hat eine günstige geografische Lage am Fluss Ili, was sie historisch zu einem wichtigen Handelszentrum entlang der alten Seidenstraße machte.
Zunächst wirkte sie auf uns ärmlich. Wir begannen unseren Rundgang auf einem Markt, der irgendwie billig aussah.
Am Ende des Marktes ging es über in die große Altstadt, die komplett blau gestaltet ist.
Eine lebendige Atmosphäre umfing uns. Das Leben spielt sich hier noch mehr auf der Straße ab als in anderen Regionen.
Usbekisches Eis, Karamelleis mit Karamellsoße, die wie eingekochte, gesüßte Kondensmilch schmeckte.
Als Toppings gibt es nach Geschmack Walnüsse, Rosinen, Pistazien und andere Köstlichkeiten.
Als Europäer ist man die Sensation der Straße. Unentwegt folgen einem kleine Kindertrupps und wollen Kontakt aufnehmen. Ihr Hauptinteresse ist, ob man in Deutschland wirklich so schnell Auto fahren darf, wie man will ... ob man sogar 300 km/h fahren darf. Außerdem wollen sie wissen, ob man Fußball liebt.
Die Gesichter der Kinder sind nicht han-chinesisch. In Kasachstan leben viele Russen und nicht selten auch Russlanddeutsche, ehemalige Wolgadeutsche, die unter Katharina der Großen mit Erteilung großzügiger Privilegien nach Russland gelockt wurden, um das Land dort zu erschließen. Im 20. Jahrhundert als die Deutsche Wehrmacht bis an die Wolga vorgedrungen waren, verschleppte man die Wolgadeutschen nach Kasachstan, weil Stalin befürchtete, dass sie sich mit der Wehrmacht verbünden könnten.
Erstaunlich, wie nah plötzlich Europa durch das ehemalige Sowjetreich wieder ist. Die Kultur ist komplett zentralasiatisch, muslimisch und turkvölkisch, aber das Russische und die kyrillische Schrift sind das administrative Gerüst. Auf der chinesischen Seite Kasachstans dominiert natürlich die chinesische Sprache, aber Russland und damit Europa sind ganz stark spürbar.
Kasachisches Dessert: fester Joghurt mit Honig und Marmelade. Köstlich.
Milch von Kamelen und Kühen
Und wieder eine Gruppe Kinder, die uns folgte, diesmal uigurische Kinder.
Von Yining nach Nalati
Von Nalati über die Kult-Straße Duku nach Dushanzi
Die Duku-Straße (auch als Dushanzi-Kuqa-Straße bekannt) ist eine der spektakulärsten Straßen in der Region Xinjiang im Westen Chinas. Sie erstreckt sich über etwa 560 Kilometer und verbindet die Stadt Dushanzi im Norden mit Kuqa im Süden, indem sie die massive Tian Shan-Gebirgskette durchquert.
Wir waren dieser Straße schon am Kuqa Grand Canyon begenet, aber den südlichen Teil der Straße hatten wir wegen der Witterung nicht befahren. In den Bergen hatte es starke Niederschläge gegeben. Von Erdrutsch bis Schneefall wäre alles möglich gewesen. Deshalb sind wir erst hier ab dem Nalati Grassland auf die Straße gestoßen.
Hier geht es links ab, auf die Traumstraße
Wegen ihrer extremen Lage und den spektakulären Aussichten gilt die Duku-Straße als eine der schönsten Panoramastraßen Chinas. Sie ist besonders beliebt bei Abenteurern, Motorradfahrern und Radfahrern.
Die Strecke verläuft durch einige der schönsten und abgelegensten Gebiete in Xinjiang, einschließlich hoch aufragender Berge, tiefer Schluchten, Flüssen und Weiden. Entlang der Strecke finden sich verschiedenste Landschaften, von alpinen Wäldern bis hin zu kargen Wüsten.
Die Duku-Straße erreicht in ihrem höchsten Abschnitt eine Höhe von 3.400 Metern über dem Meeresspiegel. Sie ist nur in den Sommermonaten (in der Regel von Juni bis Oktober) geöffnet, da sie im Winter durch Schnee und Eis unpassierbar ist.
Der Bau der Straße begann in den 1970er Jahren und dauerte etwa 10 Jahre. Die Duku-Straße war ursprünglich für militärische Zwecke angelegt worden, ist heute jedoch eine beliebte Route für Touristen, die die abgelegenen Gebiete von Xinjiang erkunden möchten.
An der Duku-Straße leben viel Mongolen in ihren Yurten. Man könnte glauben, dass Kinder der Mongolen früher reiten als laufen lernen. Es gibt wahrscheinlich keinen Mongolen, der sich auf einem Pferderücken nicht vollkommen sicher fühlt.
Die Landschaft ist idyllisch, wirkt absolut intakt und man hat den Eindruck, dass Mensch und Natur im Einklang leben.
Dieses junge Ehepaar lebt mit seiner Familie im Tal am Fluss. Gerade haben sie einen Hammel geschlachtet. Was auf uns befremdlich wirkt, ist hier Normalität. Für die Menschen ist das Schlachten eher ein Festtag.
Was immer wieder auffällt: Die Menschen sind offen, freundlich und interessiert.
Bienen, so dicht wie ich es noch nie gesehen habe.
Auf geht's in die Berge.
Die Duku-Straße überquert mehrere hohe Gebirgspässe, während sie die Tianshan-Berge durchquert. Insgesamt gibt es mehrere bedeutende Pässe entlang der Route:
Hailuotuo-Pass: Einer der höchsten Punkte der Straße mit einer Höhe von etwa 3.400 Metern. Dieser Pass bietet spektakuläre Aussichten und markiert eine der schwierigsten Stellen der Strecke.
Laerdun-Pass: Ein weiterer wichtiger Pass entlang der Route, der durch alpine Landschaften führt.
Aydingkol-Pass: Auch dieser Pass befindet sich auf der Route und ermöglicht Übergänge durch die zerklüfteten Berge des Tianshan-Gebirges.
Jeder Pass entlang der Duku-Straße bietet atemberaubende Landschaften und Panoramablicke auf die wilde Natur Xinjiangs.
Die chinesische Nationalstraße 217, zu der der Abschnitt Duku Road gehört. Die Duku Road ist 561 Kilometer lang. Die gesamte G217 ist 1753 Kilometer lang und führt von Altay über Burqin, Orku, Baijiantan, Karamay, Kuytun und Dushanzi nach Kuqa.
Kaffeepause an einem der Parkplätze an dieser beeindruckenden Straße. Es gibt immer Stände, an denen man Obst und andere Leckereien bekommt.
Kaffee ist das Kultgetränk der jüngeren Generation in China. Es ist unglaublich, welchen Siegeszug der Kaffee angetreten hat, zumal China das Mutterland des Tees ist mit enormer Tradition und Wertschätzung. Dass Schanghai die Welthauptstadt des Kaffeegenusses ist mit allein über 1000 Starbucksfilialen und schier unzähligen Barista-Cafés, konnte mir nicht entgehen (Willst du mehr über Kaffeekultur in Schanghai wissen? Klick hier.). Dass aber hier im Tian Shan-Gebirge viele junge Leute ihre Barista-Stände aufbauen oder gleich eine Siebträgermaschine im Auto haben, hätte ich nicht gedacht.
Aber nicht nur moderne, junge Leute verkaufen Kaffee, auch Traditionelles wird angeboten. Überall gibt es Grillspieße mit den üblichen Gewürzen aus den Turkregionen Zentralasiens, regionale Produkte wie z. B. ganz frisch gepresster Sanddornsaft, den ich bisher ausschließlich mit der norddeutschen Küste in Verbindung gebracht hatte.
Wieder ein Halt, an einem Aussichtspunkt. Ein anderer Tourist hatte eine Melone gekauft und verteilte sie - unter anderem an uns - weil sie für ihn und seine Familie zu viel ist.
Die Kontakte zu den Menschen bei dieser Reise, der Austausch, die Sichtweisen sind das Beeindruckendste. Immer wieder berührt mich die Offenheit. Erfahrungen, die mir China ans Herz wachsen lassen.
Kaffeepause bei der sympathischen Barista-Frau, die diesen kleinen gemütlichen Sitzplatz gleich neben dem Parkplatz eingerichtet hat. Die Fotos hat sie dann auch für uns gemacht.
Da zufälligerweise unser Handy hier keinen Empfang hatte, konnten wir den Kaffee nicht bezahlen (in China hat man kein Bargeld mehr bei sich). Sie war relaxt und sagte, dass wir zahlen können, sobald wir wieder Empfang haben.
Das haben wir gemacht und die Fotos von uns gleich mitgeschickt, damit sie sie auf ihrem Profil als Werbung von zufriedenen Gästen veröffentlichen kann, zumal ich als Europäer noch einen Exotenbonus habe. Welcher westliche Tourist verläuft sich schon in diese Gegend?
Der Aufkleber auf dem Kaffebecher zeigt den Verlauf der Duku-Road.
Der Kleine gehörte auch zu diesem Parkplatz. Irgendeinem der Händler wird er schon gehören.
Und noch ein Barista. Dieser sympathische junge Mann chillt auf dem Dach seines Transporters und wartet auf Gäste. Nebenan lebte eine mongolische Familie in ihren Yurten. Leider habe ich versäumt, den Jungen der Familie zu fotografieren, der neugierig zu uns kam und in ziemlich guten Englisch munter Kontakt zu uns aufnahm und ziemlich redselig war.
Weiter geht's in den ewigen Schnee. Kalt war es mitnichten, eher sommerlich warm.
Die Chinesen bauen bei Schnee neben dem Parkplatz gleich eine Rodelbahn, wo man auf aufgeblasenen Ringen runterrutschen kann. Hier ist Partystimmung angesagt. Laute Musik, Restaurants, Essen und Verkaufsstände ohne Ende.
Für uns kaum zu unterscheiden, ob jemand Han oder Mongole oder Kasache oder Tadschike ist. Dieser junge Mann ist ein Kirgise.
Es war ein Traumurlaub mit atemberaubenden Landschaften, die es locker mit den Anden im äußersten Süden Lateinamerikas oder den großen Nationalparks in den USA aufnehmen können, und es war ein Eintauchen in eine grandiose Kulturvielfalt.
Xinjiang habe ich sicherlich nicht zum letzten Mal besucht.
Aber China bietet viele großartige Orte - und einige davon habe ich noch nicht gesehen. Aber sicher ist, dass ich immer wieder nach China zurückkehren werde.
Es werden im Laufe der Zeit noch einige Berichte folgen, auch wenn ich schon wieder nach Deutschland zurückgekehrt bin.
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