top of page

Suchergebnisse

74 Ergebnisse gefunden für „“

  • Der Bund

    Wenn man an Schanghai denkt, hat man meistens die Skyline von Pudong vor Augen. Nicht weniger interessant ist der West-Bund auf der gegenüberliegenden Flussseite mit seinen Bauten aus der Zeit der britischen Konzession. Die Franzosen besaßen auch ein Stück am Bund, aber sie haben nicht mit monumentalen Bauten geklotzt. Die Amerikaner hatten sich auch ein Stück Schanghai einverleibt, um auf Kosten Chinas reich zu werden, aber ihre Bereich wurde später mit dem britischen Sektor zur sogenannten "Internationalen Konzession" zusammengelegt. Auch auf amerikanischer Seite stehen einige imposante Gebäude, wovon das Broadway Mansions Hotel sicher das beeindruckendste ist. Die imposantesten Gebäude am britischen Abschnitt des Bunds können mit Whitehall in London konkurrieren. Stärker noch erinnern sie aber an Liverpool, das man auf dem Foto unten sieht. Pier Side in Liverpool - erinnert an Schanghai (©: CC BY-SA 3.0) Schanghais Bund-Architektur könnte auch Batman-Filmen entlehnt sein. Gotham-City, Monumentalarchitektur aus Backstein mit Art-Deko-Einflüssen, die etwas Molochhaftes ausstrahlt. Das fasziniert und begegnet einem überall im Viertel hinter dem Bund. Es ist alles voller Herrschaftsarchitektur, die mit ihren Kolossalordnungen und ihrer Wuchtigkeit etwas Absolutes ausstrahlt . Kolossalordnung vor dem Bank of Taiwan-Building (rechts) und dem Russo-Chinese-Bank-Building (links davon) Zur genaueren Orientierung hier noch einmal die Karten mit den Konzessionen. Rot: die französische Konzession, darüber in Ocker die britische, und nordöstlich von dem geschlängelten Fluss Suzhou, der von Westen kommt, die amerikanische. Der grüne Streifen am Flussufer ist der Uferabschnitt der britischen Konzession, also der Teil des Bunds, den heute die historische Skyline Schanghais prägt. Die Grenze zwischen der französischen und britischen Uferzone sieht man deutlich auf folgender historischer Abbildung. Es ist die Tordurchfahrt mit dem schlanken Turm daneben. Das Tor ist mittlerweile verschwunden, aber der sogenannte Gutzlaff-Signal-Tower gehört zur denkmalgeschützten Architektur. Er wurde 1865 errichtet und diente als Wetterstation. Heute ist darin im Sockelgeschoss ein kleines Bund-Museum untergebracht. Blick auf den Bund von der französischen Seite Die Straße ist noch erhalten, aber mittlerweile gibt es dort, wo auf der historischen Abbildung die Schiffe liegen, eine Uferpromenade, auf der allabendlich unzählige Besucher flanieren, um die gegenüberliegende Skyline in Pudong zu betrachten und zu fotografieren; natürlich auch, um sich die Bund-Architektur anzusehen. Der Gutzlaff-Signal-Tower Die Häuser am Bund sind monumental, aber wenn man sie von der Aussichtsetage eines der Gebäude von der gegenüberliegenden Pudong-Seite betrachtet, erscheinen sie lediglich stecknadelkopfgroß. Vielleicht spiegelt sich in dieser Architektur auf beiden Seiten des Flusses die Bedeutung Europas und Chinas von einst und jetzt wider. Peter Scholl-Latour beschrieb es ähnlich: Die Trutzburgen des ehemaligen europäischen Kapitalismus wirken wie winziges Spielzeug, wenn man sie aus der Höhe der monströsen Wolkenkratzer auf der Pudong-Seite betrachtet. Das grüne pyramidenartige Dach auf dem obigen Foto gehört zum Peace Hotel, einem der traditionsreichsten Häuser Schanghais. Die Geschichte zu diesem Luxushotels und Fotos vom Interieur dieses Gebäudes findest du im Post "Art-Deco in Shanghai". Auf der Straßenseite gegenüber von den alten Gebäuden gibt es einen Eingang zum Tunnel, der unter dem Huangpu-Fluss hindurchführt. Man kann nicht zu Fuß gehen, aber es gibt eine kleine Bahn, die einen durch den Tunnel fährt. Lichteffekte machen die Fahrt interessant für Kinder und es vor allem ist es bequem, um zum gegenüberliegenden Flussufer zu gelangen. Wem diese Fahrt für 50 Yuan, umgerechnet ca. sieben Euro, zu teuer ist, kann für nur 2 Yuan (30 Cent) mit einer Fähre übersetzen, deren Landungsbrücke am Gutzlaff Signal Tower zu finden ist. Man erreicht die Anlegestelle nicht von der Promenade, sondern muss ein paar Treppenstufen zur Straße hinuntergehen. Dort befindet sich die Kasse und gleich daneben der Zugang zur Fähre. Die Fähren erkennt man an ihrem gelben Streifen. Sie sind nicht für Touristen gemacht, daher gibt es wenige Plätze mit Aussicht an der frischen Luft, dafür aber einen Raum für die vielen Scooter, die auch von einer der einen Flussseite zur anderen wollen. Es ist ein Alltagstransportmittel wie die U-Bahn. Wenn man den Bund mit den historischen Gebäuden bis zum Ende geht, erreicht man die Waibaidu-Brücke, die man auf dem Foto unten sieht, dort endete der britische Abschnitt des Bunds. Die Brücke überspannt den Fluss Suzhou, der unmittelbar danach in den Huangpu-Fluss mündet. Auf der anderen Seite liegt der ehemalige amerikanische Teil Schanghais. Zur Zeit der japanischen Besatzung Schanghais, war diese Brücke die Grenze zwischen dem japanisch besetzten Teil der Stadt und dem nicht besetzten Teil der. Auf der Brücke gab es scharfe, demütigende Kontrollen durch die japanischen Streitkräfte. Jeder Chinese musste den Soldaten beim Passieren Respekt erweisen, sich verbeugen oder sogar bis zur Taille entkleiden, um Demütigungen und Bestrafungen durch die Japaner zu entgehen. Die Brücke hat einen festen Platz im kollektiven Bewusstsein der Schanghaier, sie ist eine der berühmtesten Brücken der Welt und in zahlreichen Filmen zu sehen, z.B. in Ang Lee's "Gefahr und Begierde".

  • U-Bahn-Fahren in Schanghai

    Die U-Bahn in Schanghai ist ultramodern, hocheffizient, sauber, mit viel Personal. Derzeit hat das Netz 18 Linien, umfasst ca. 800 Kilometer, die genaue Zahl der Stationen ist im Internet nicht herauszufinden, da die Informationen ständig veralten. Das Netz soll in den nächsten Jahren auf 1000 Kilometer ausgebaut werden. Es ist jetzt schon streckenmäßig das größte der Welt, obwohl es erst vor 30 Jahren begonnen wurde. Zum Vergleich der U-Bahn-Ausbau in Berlin: Die Ergänzung der U 5 vom Brandenburger Tor zum Alexanderplatz mit einer Strecke von zwei Kilometern und drei Bahnhöfen wurde 2010 begonnen und 2021 abgeschlossen. Elf Jahre Bauzeit für zwei Kilometer in Berlin. Wenn man einen U-Bahnhof betritt, muss man seine Taschen durch einen Röntgenscanner laufen lassen. Keine Angst, das geht schnell. Die Bahnsteige und Gleiskörper sind durch Glasscheiben voneinander getrennt, damit niemand auf die Gleise fällt, die Türen der Glastrennwände öffnen sich gleichzeitig mit den Türen der haltenden Züge. U-Bahnen haben in vielen Städten ein interessantes Erscheinungsbild, sie sind wie eine eigene kleine Welt, eine Bühne für Kreative, für Spinner und Normalos, ein Panoptikum der Menschen einer Stadt und nicht selten sind U-Bahnen Schauplätze in Filmen, vor allem französischen, weil sie einen cineastischen Wert haben. Nicht so in Schanghai. Die Schanghaier U-Bahn hat wenig Atmosphäre. Sie ist rein funktional und die Farben Weiß, Schwarz, Grau und Silber bestimmen das Bild ebenso wie die Materialien Granit, Edelstahl und Glas. Alle Stationen sehen irgendwie total gleich aus. Es gibt kein Saxophon, das durch die Gänge hallt, keine nostalgische Architektur mit facettierten Kacheln, keine gefliesten Jugendstilschilder wie in vielen alten europäischen U-Bahnen, keine jungen Leute, die mit Bier oder ClubMate in der Hand zum Feiern in die einschlägigen Bezirke fahren. Dafür gibt es in Schanghai aber auch keinen Siff oder Schmierereien, es ist absolut sauber. Wer aber U-Bahnen eben wegen ihrer ganz speziellen, inspirierenden Atmosphäre mag, wird in Schanghai nicht auf seine Kosten kommen. Nicht einmal den typischen U-Bahn-Geruch gibt es, von irgendwelchen Bremsklötzen oder Stromabnehmern, von dem manche sagen, dass es irgendwie nach Gummi und Elektrizität riecht. Wie benutzt man die Schanghais Metro? Man könnte befürchten, dass man in Schanghai in gigantischen, labyrinthartigen U-Bahn-Stationen mit chinesischen Schriftzeichen untergeht. Da ist was dran. Aber in der U-Bahn wird alles auch mit lateinischen Buchstaben ausgeschildert, die Durchsagen in den Zügen erfolgen auf Chinesisch und Englisch und überhaupt funktioniert die Metro wie überall auf der Welt - eigentlich. Nur "eigentlich", weil es trotzdem schwierig ist: Die Stationen ähneln unterirdischen Labyrinthen mit endlosen Gängen, teilweise muss man sehr weite Wege zurücklegen, um von einer U-Bahn zur nächsten zu kommen und die minutenlange Tippelei nervt. Endlose Gänge unter der Erde, typisch für die Schanghaier Metro Die Stationen sind durch ihre Größe und Umsteigemöglichkeiten ziemlich unübersichtlich. Hinweisschilder weisen den Weg, aber man muss sie suchen, manchmal schwierig, weil man mit Informationen und Wegweisern überhäuft wird. Es fühlt sich an wie in einem Playstation-Spiel, wo man als Figur minutenlang den Weg sucht. Die U-Bahn-Stationen ähneln sich wie ein Ei dem anderen. Daher kann man sich kaum Wege merken, selbst wenn man an dieser Station schon einmal war. Die Sucherei bleibt das Dauerthema. Wenn man endlich den Bahnsteig erreicht hat, muss man die richtige Seite wählen. Fährt die gewünschte Bahn links oder rechts? Um das zu klären, guckt man idealerweise vor dem Betreten des Bahnsteigs auf die Schilder mit den Endstationen der Linie. Diese Schilder hängen über dem Ende der Rolltreppe. Wenn man sie übersehen hat, geht die Sucherei auf dem Bahnsteig los. Über den Türen in den Glaswänden zwischen Gleis und Bahnsteig stehen irgendwo die Endstationen, aber sehr klein gedruckt. Man wird es finden, aber man muss suchen. Die drei Namen über der Tür sind die gegenwärtige Station sowie die letzte und die nächste. Uhren über dem Bahnsteig informieren, wie viele Minuten es dauert , bis die nächste Bahn kommt, aber diese Uhren sind klein und es gibt davon so wenige, dass man sie meistens nicht erkennen kann. Die Uhr unten zeigt an, dass der nächste Zug in 1:20 Minuten kommt. Hat man es schließlich in den richtigen U-Bahn-Zug geschafft, ist der Stress nicht vorbei. Es ist laut. Aus dem Lautsprecher wird man ununterbrochen mit Informationen zugetextet. Will man aus dem Zug herausschauen, etwa weil man gerade in eine Station einfährt und sich für den Stationennamen interessiert, folgt das nächste Stresserlebnis. Die Scheiben der Züge sind getönt, die Scheiben, der gläsernen Sicherheitsabtrennung zwischen Bahnsteig und Gleisen auch. Doppelt getönt ist besser - ganz toll, denn man sieht wenig. Aber das macht nichts, die Lautsprecherdurchsagen hören nicht auf zu reden und sie nennen auch die Stationennamen. In allen U-Bahnen, die ich kenne, gibt es Schilder mit den Stationennamen auch an der Wand, die dem Bahnsteig gegenüber liegt. Das ist sehr sinnvoll, denn in der Bahn schaut die Hälfte der Leute von ihren Sitzen auf genau diese Wand. Es wäre hilfreich, wenn man dort den Namen der Stationen lesen kann und genau weiß, wo man gerade ist. In Schanghai gibt es das nicht. Kleine zusätzliche Schwierigkeit für Ausländer: Die Stationennamen sind schwer zu merken: Ohnehin ist Pin Yin, also die lateinische Schreibweise chinesischer Wörter, eine spezielle Herausforderung, aber besonders speziell bei Namen wie z.B.: Changping Road oder Changqing Road, Changshu Road oder Changshou Road, beide übrigens auf Linie 7. Oder wie sieht es aus mit Changzhong Road? Zhongshan Park oder Zhongtan Road oder North Zhongshan Road? Usw. Eine weitere Schwierigkeit bereiten die unzähligen Ausgänge aus der Metrostation. Welchen soll man nehmen? 5-9 oder 3,4 oder 13? Dazu kommen teilweise bizarre Erklärtafeln, die nur wenige richtig verstehen. Wenn man aus Versehen den falschen Ausgang gewählt hat, gelangt man in einer völlig anderen Ecke an die Oberfläche. Die Ausgänge liegen aber teilweise so weit auseinander, weil man ja unterirdisch minutenlang gelaufen ist, dass man überhaupt nicht mehr weiß, wo man ist. Und da auch oben auf der Straße alles ziemlich gleich aussieht und man eigentlich nie Orientierung hat, kann man verzweifeln. Meistens helfen Apps. Ohne Apps läuft in China nicht viel. Apps wie MAPS.ME zeigen sogar die Ausgänge auf der Straßenkarte an. Das ist eine große Hilfe. Wie kommt man an ein Ticket? Die Tickets bekommt man am Automaten, an dem man per Touchscreen zwischen Chinesisch und Englisch wählen kann, und wenn alle Stricke reißen, gibt es immer noch einen Info-Schalter, wo sogar mit etwas Glück jemand steht, der Geld wechselt und Englisch spricht. Man kann also auch noch mit Münzen oder Scheinen bezahlen und braucht nicht unbedingt Bezahl-Apps. Die Hauptschwierigkeit für Nicht-Chinesen liegt darin, dass man sich die Namen der Stationen nicht merken kann, auch wenn sie in Pin Yin, also lateinischer Schrift, geschrieben sind. 1. So sieht der Ticketautomat aus, wenn man sich ihm nähert. 2. Man wählt die Sprache Englisch. 3. Dann sollte man wissen, auf welcher Linie die Station liegt, zu der man fahren möchte. Wenn man es nicht weiß, kann man bei der Information nachfragen oder eine Metro App benutzen (z.B. Metro Man. Danach wählt man am unteren Bildrand die Linie aus, auf der die gewünschte Station liegt. Alle 18 Linien sind dort aufgeführt. In meinem Beispiel brauche ich ein Ticket zur Station Linyi Xincun; die liegt auf der Linie 6, also wähle ich diese Linie durch Tippen. 4. Danach erscheint auf dem Bildschirm nur noch die gewünschte Linie ohne das gesamte Metronetz. In meinem Fall ist es die Linie 6. 5. Man wählt die gewünschte Station. Ich wähle die Station Linyi Xincun, tippe darauf und der Fahrpreis wird mitgeteilt. Bezahlt wird mit Münzen, Scheinen oder den Apps Alipay oder WeChat. Und los geht's. Masken waren in Zeiten der Pandemie Pflicht. Übrigens sind die Züge herrlich klimatisiert. Bei 32 Grad Außentemperatur ist man echt froh, wenn man in die Bahn kommt, .

  • Noch mehr Lockdown

    In den letzten Monaten flammten immer wieder Infektionsherde in der Metropole auf, die zu kurzen lokalen Lockdowns in entlegenen Bezirken führten. Der Alltag in der Stadt wurde dadurch aber nicht beeinflusst. Dass Schanghai irgendwann in einen totalen Lockdown geht, war nicht absehbar. Meine Kollegen waren sicher, dass diese Stadt nie heruntergefahren wird und so wurde es auch von der Politik beteuert. In den letzten zwei Märzwochen zog die Situation aber deutlich an. Maskenpflicht in der Öffentlichkeit, Vorzeigen von QR-Gesundsheitscodes beim Betreten von Geschäften und in den Schulen fanden Massentestungen statt. Es wurde merklich leerer auf den Straßen und vor allem war die U-Bahn so leer wie an einem Sonntag in Bochum - kurz: ausgestorben. Trotzdem war ich noch am Samstag in einem großen Kaufhaus und am Sonntag saß ich noch mit meiner Kollegin im Garten eines Cafés, allerdings wurden, während wir gemütlich draußen saßen, vor dem Café und vor unseren Augen die Bürgersteige abgesperrt mit Flatterbändern aus Plastik, die um Straßenschilder und Bäume gewickelt wurden. Ein Gefühl von Endzeitstimmung beschlich uns. Am Sonntagabend kam dann die Mitteilung, dass die Stadt in den totalen Lockdown geht. Der Huangpu-Fluss teilt die Stadt in Ost und West und diese Hälften wurden hintereinander heruntergefahren. Die Pudong-Seite im Osten, wo der Hafen und das Finanzzentrum mit Börse, dem Krankenhaus, in dem ich war, liegen, wurde zuerst für fünf Tage geschlossen und vom 1. - 5. April war die Puxi-Seite im Westen dran, in der ich wohne. Nachdem verkündet wurde, dass der Lockdown kommt, fanden Hamsterkäufe statt. Lautsprecher verkünden seitdem öfters weithin hörbar Informationen über den Stand der Dinge. Minutenlang hallen dann diese Durchsagen über die Dächer des Stadtteils, Desinfektionstrupps kommen, um Gebäude zu dekontaminieren. Der Lockdown haut mich nicht um, aber die Frage, ob man genug zu essen gekauft hat, löst ein mulmiges Gefühl aus, besonders da alle Geschäfte geschlossen sind. Infiziert zu sein wäre schlimmer, denn dann geht es in ein Quarantänezentrum außerhalb, wo man in riesigen Bettenhallen mit anderen Infizierten zwei Wochen bleiben muss. Wir richten uns hier auf dem Schulgelände ein, sind sicher abgeschottet, keiner ist infiziert, wir dürfen auf das Gelände und haben genug Platz. Wir werden dreimal täglich in der Mensa mit Essen versorgt. Bestellservices, auf die ich hoffte, fahren leider nicht mehr und es gibt auch kein Essen mehr, das man bestellen kann. _____________ Heute Morgen war Massentestung. Auf dem Weg zum Testzentrum lief man über vollkommen leere Straßen. Kein einziges Auto, kein Motorrad war unterwegs. Im Lockdown rausgehen ? Hier auf dem Gelände gut möglich. Manchmal setze ich mich aufs Dach. Es ist schon sommerlich warm und man bekommt Urlaubsbräune. Ich fühle mich wie in einer südeuropäischen Metropole. Mittagssonne, Siesta, wenn sich die Hitze über die Stadt legt und die Aktivitäten zum Stillstand kommen. Aus irgendeinem offenen Fenster ist unentwegtes Geschwätz zu hören, ab und zu vernimmt man ein Handwerkergeräusch aus irgendeiner Wohnung, Vogelgezwitscher. Auf dem Weg zu einer Massentestung, einer der wenigen Momente, in denen man auf die Straßen darf. ___________________ Heute wurde verkündet, dass der Lockdown fortgesetzt wird. Das Qingming-Fest, mit den beiden Feiertagen ist quasi ausgefallen. Die Möglichkeit, in den Sommerferien Schanghai zu verlassen und in China zu reisen, sehe ich schwinden. Man kann auch nicht in den Ferien nach Hause fliegen, weil die Flüge und das Quarantänehotel extrem teuer sind, und die Behörde, die mich entsandte und die zum Auswärtigen Amt gehört, die Kosten von ca. 9000 Euro nicht übernehmen will. Mittagessen in der Mensa. Wir werden versorgt, aber die Atmosphäre ist gewöhnungsbedürftig. ________________________ Die Versorgungssituation in Schanghai ist angespannt. Lieferapps kann man in diesen Tagen nicht nutzen. Alles ist geschlossen, kein Pizzaservice - nichts. Man kann versuchen, Lebensmittel und vor allem frisches Gemüse und Obst bei der Regierung zu bestellen. Die schenkt es der Bevölkerung und bringt es vorbei. Dafür muss man in aller Frühe aufstehen. Wenn es dann um sechs Uhr losgeht, ist nach wenigen Minuten alles komplett verlauft, so als würde man Tickets für ein Konzert von einem Superstar haben wollen. Wir haben ein Riesenglück, dass wir hier in der Schule untergebracht sind. Täglich drei warme Mahlzeiten. Der Koch lebt auch auf dem Schulgelände und die Speisekammer ist anscheinend gut gefüllt. Es gibt auch täglich frisches Gemüse. Insgesamt sind wir hier ca. 15 Leute, zehn Lehrer, der Koch und ein paar Männer vom Wachdienst. Die Sporthallen sind geöffnet und mit meinem Kollegen, einem Sportlehrer, spiele ich abends Tischtennis. Man kann auch gegen die Ballwurfmaschine spielen, um zu trainieren oder joggen gehen oder einfach in der Sonne sitzen. Im Haus gegenüber werden alle Menschen getestet oder es werden ihnen Lebensmittel gebracht. : Etage für Etage, Wohnung für Wohnung Wie ist das möglich bei 26.000.000 Menschen in dieser Riesenstadt? Für das Haus gegenüber mit seinen zwölf Etagen brauchten die Mitarbeiter ca. eine Stunde, das sind nur fünf Minuten für jede Etage. Man schafft also in 12 Stunden ca. zwölf Häuser. Aber Schanghai hat Hochhäuser, so weit man blicken kann. Ein erschöpfter Mitarbeiter, der kurz Pause macht. Auch in dem Ganzkörperanzug steckt ein Mensch, was man aber nur wirklich wahrnimmt, wenn er das Gesicht frei macht, um kurz zu verschnaufen, Und wieder zum Test. Auch wenn es nach langer Wartezeit aussieht, geht es recht schnell. Chinesische Organisation

  • Vorläufiger Abschied von Schanghai

    Der Lockdown nahm kein Ende. Das wäre zwar auszuhalten gewesen, allerdings kamen bei mir gesundheitliche Probleme hinzu, die sich nicht von selbst lösten. Letztendlich entschied ich mich, nach Hause zu fliegen. Nachdem diese Entscheidung gefallen war, beriefen meine Kollegen noch am späten Freitagabend eine Online-Sitzung mit der Schulleitung, der Parteisekretärin, der Fachbereichsleiterin und einigen anderen ein. Solche Sitzungen finden spontan statt - egal, ob es Freitagabend ist oder nicht. Mir war sichtlich peinlich, dass wegen mir eine Freitagsabendssitzung einberufen wurde, aber in China nimmt man das weniger schwer als bei uns. Sie sagen, es müsse eine Lösung gefunden werden - und zwar schnell. Es dauerte keine zwei Stunden und ein Flug war gebucht und ich musste mich um nichts kümmern. Wenn in China eine Entscheidung gefallen ist, laufen die Prozesse so schnell ab, dass man als Deutscher kaum Luft holen kann. An einem Freitagabend würde in Deutschland ein Anliegen definitiv bis zum kommenden Montag Zeit haben. Dann würde man einen Termin mit den betreffenden Kollegen koordinieren, was in der Regel schon schwierig genug ist, und dann würde die Sitzung vermutlich Ende der Woche stattfinden. Mit chinesischer Organisation landete ich bereits am Montagmorgen um sechs Uhr in Deutschland und hatte in dieser Zeitspanne auch noch 12 Stunden Flug hinter mir. Zwischen meiner Entscheidung und dem Eintreffen in Deutschland waren 60 Stunden vergangen. Das ist rekordverdächtig. Wenn man als Deutscher in China lebt, hat man irgendwann das Gefühl, dass Deutschland ein extrem langsames Land ist. Hier ein letztes Foto von meinen beiden lieben Kollegen Thomas und Emma mit mir. Ein Fahrzeug wurde extra für mich angefordert, der Fahrer bekam die schriftliche Genehmigung der Schulleitung und der Verwaltung, dass er mich durch die Stadt fahren durfte, für den Fall, dass wir an einer Kontrollstelle angehalten werden. Nach Umarmung und Verabschiedung von meinen Kollegen ging es im Schutzanzug durch die fast menschenleere Stadt auf leeren zehnspurigen Autobahnen zum Flughafen. Die Fahrt durch Schanghai Richtung Flughafen Pudong kam mir vor wie ein Traum oder wie ein Film - alles so fremd, so irreal. Der Flughafen war still, das Gebäude war leer. An diesem Tag gab es nur einen einzigen Flug - von Schanghai nach Frankfurt. Kein Geschäft war geöffnet, kein Snack, kein Getränk konnte gekauft werden. Meine Kollegen nahmen die gesamte Zeit Anteil an meiner Abreise, verfolgten online, ob alles glatt lief und keine Schwierigkeiten entstanden, bis ich im Flugzeug saß. Dahinter stehen Anteilnahme und Interesse. Chinesen wären in Europa sicher tief enttäuscht, wenn man sich nicht um sie kümmern würde und sie würden es für Kälte und Gleichgültigkeit halten. Für sie ist das Kümmern um den anderen eine Selbstverständlichkeit. Wir Europäer sind meistens auf uns selbst gestellt und empfinden es vielleicht sogar als Kontrolle, wenn andere zu sehr Anteil an einem Geschehen nehmen. Vielleicht ist es in China eine Mischung aus Anteilnehmen und Kontrolle. Wenn bei meiner Ausreise in Coronazeiten, in die viele Leute involviert waren, etwas schief gegangen wäre, hätte sich der Verantwortliche, dem die Abwicklung meiner Ausreise anvertraut wurde, rechtfertigen müssen, also hat er lieber die ganze Zeit im Blick, wofür man ihm die Verantwortung übertragen hat. In China ist jeder bestrebt, eine Aufgabe, die ihm gegeben wurde, erfolgreich und so gut wie möglich abzuschließen. Eines meiner Ziele im Ausland war, Standpunkte zu relativieren und die Dinge aus anderer Perspektive zu sehen. Während dieser Erfahrung habe sicher am stärksten gemerkt, was unterschiedliche Standpunkte sind. Eindrücke von einem der größten Flughäfen der Welt während des Lockdowns Wir starteten auf die Sekunde pünktlich am Ostermontag um 00:05. Das Flugzeug war fast leer. Ca. zwei Drittel der Plätze waren nicht belegt. Trotzdem saßen fast alle Passagiere in nur einem Teil des Flugzeugs relativ dicht beieinander, während der gesamte mittlere Teil leer blieb. Die Flugroute ging zunächst nach Norden über Sibirien und ich sah stundenlang einen Streifen heller Dämmerung am Horizont, da wir uns dem Polarkreis näherten und damit dem Polartag auf der Nordhalbkugel. Schließlich ging es wieder Richtung Süden, wir ließen die Dämmerung hinter uns und tauchten wieder in die Nacht ein. Als wir uns Frankfurt näherten, war es noch stockfinster. Ich wurde in China sehr gut behandelt und habe wirkliche Gastfreundschaft erlebt, Interesse aneinander und Unterstützung in allen Belangen. Würde man z.B. in Deutschland für chinesische Kollegen das chinesische Neujahrsfest so organisieren und feiern, wie Weihnachten für uns europäische Kollegen gefeiert wurde? Ich frage mich, wann ich zurück komme. Es gibt kaum Flüge nach China und wenn, dann sind es Charterflüge von der Deutschen Außenhandelskammer, die unfassbar teuer sind. Jetzt werde ich meinen Unterricht von Deutschland online fortsetzen, was ich die letzten Wochen ohnehin schon gemacht hatte wegen des Lockdowns.

  • Begegnung Europas und Chinas am Beginn der Neuzeit

    Chinas Flotte unter Kaiser Zhu Di Die ersten Westeuropäer, die die Welt mit ihren Schiffen befuhren, waren die Portugiesen, gefolgt von den Spaniern, dann den Briten und den Niederländer - Seefahrernationen, die direkten Zugang zum Meer hatten. Zeitgleich mit Portugal hatte auch das hochentwickelte China eine Flotte, die an Größe jeder europäischen überlegen war. Entsprechend machten sich die Chinesen auch auf den Weg, um die Welt jenseits der Meere zu erforschen. Im Jahr 1403 nach unserer Zeit bauten sie ihre Schiffsarmada unter dem Ming-Kaiser Zhu Di. Die Flotte bestand aus 300 Schiffen, darunter 60 Schatzschiffe, die größten Holzschiffe, die jemals in See stachen, mit einer Länge von 80 Metern und neun Masten, in anderen Quellen ist von 135 Metern Länge und 50 Metern Breite die Rede. Eines der Schatzschiffe von Zheng He im Vergleich mit dem Schiff von Columbus Lars Plougmann / CC BY-SA 2.0 20.000 Leute sollen an Bord der Flotte gewesen sein. In der Zeit von 1404 bis 1433 war der Eunuch Admiral Zheng He im Dienste des Kaisers mehrfach aufgebrochen und gelangte bis Afrika. Das Projekt wurde nur wenige Jahrzehnte fortgesetzt, dann beendete China seine Expeditionen und kehrte zur Selbstgenügsamkeit zurück. Vielleicht war das ein Fehler, der sich ca. 300 Jahre später rächen sollte, als Europa, vor allem die Briten technologisch so aufgeholt hatten, dass sie schwer bewaffnet an Chinas Tür klopften. Chinas Reichtum hatte Begehrlichkeiten geweckt. Es folgten der Opiumkrieg, die Ungleichen Verträgen und das Jahrhhundert der Demütigung, Erfahrungen, die bis heute tief in der chinesischen Seele sitzen. Wie auch immer. Auffällig ist an Chinas Beendigung seines Schifffahrtsprojekts vor allem eins: Keine konkurrierende Macht hatte die Flotte bezwungen, sondern sie wurde aus freien Stücken aufgegeben. Das ist insofern ungewöhnlich, da alle anderen Seemächte immer in die Knie gezwungen wurden von Nationen, die mächtiger geworden waren. Portugiesen von Spaniern, Spanier von Briten usw. Die Chinesen aber wurden von niemandem besiegt. Sie hatten einfach befunden, dass ihre Expeditionen zu keinem Erkenntnisgewinn geführt hatten, also wurden die Schiffe aufgegeben. In Nanjing kann man heutzutage den Nachbau eines solchen Schatzschiffes besichtigen. Begegnungen zwischen Europa und China Bildnis von Xu Guangxi, Minister der Ming-Dynastie, Shanghai Histroy Museum Bevor die Briten in kriegerischer Absicht kamen, waren schon italienische Missionare nach China gekommen, die aber mit ihren Missionabsichten wenig erreicht hatten - das Christentum spielt in China eine marginale Rolle - statt dessen kam es aber zu intensivem kulturellen Austausch. Der Ming-Dynastie-Minister Xu Guangxi, geboren 1562, war ein hoher Beamter im Mandarinat, der ursprünglich aus ärmlichen Verhältnissen stammte, aber durch eine gute Schulbildung die schwierigen Beamtenprüfungen ablegen konnte, die ihn in höchste Ämter aufsteigen ließen. Er steht für die Anfänge der sino-europäischen Begegnungen, da er durch den italienischen Jesuitenpater Mattheo Ricci zum katholischen Glauben konvertierte, was aber keinen Effekt auf die Etablierung des Christentums in China hatte. Mattheo Ricci, Jesuitenpriester in China, Shanghai History Museum Der italienische Jesuitenpater und Missionar Mattheo Ricci war ein kultureller Vermittler zwischen beiden gegensätzlichen Kulturen. Er missionierte nicht mit Gewalt, sondern mit dem, was die Chinesen am meisten überzeugte, mit seiner Gelehrtheit. Er hatte eine profunde naturwissenschaftliche Ausbildung, die die Chinesen beeindruckte, und bewirkte durch seine Bildung mehr als durch seine Predigten. Außerdem erlernte er die chinesische Sprache und kleidete sich wie ein buddhistischer Mönch, so dass die Chinesen ihn nach seinem Sinisierungsprozess für einen der ihren hielten. Ihm sind die Grundlagen der Transkription der chinesischen Sprache in lateinische Schrift zu verdanken, das sogenannte Pinyin, das in veränderter Form bis heute verwendet wird. Alle chinesischen Wörter, die wir Nicht-Chinesen lesen können, sind Transkriptionen der chinesischen Zeichen in lateinische Buchstaben. Mattheo Ricci baute enge und langanhaltende Freundschaften zu hochrangigen chinesischen Beamten auf, unter anderem zu Xu Guangxi, durch die er tiefgehende Kenntnisse des Konfuzianismus erwarb. Dies alles ereignete sich zur Zeit der späten Ming-Dynastie, zeitlich etwa parallel zum europäischen Barock. Im Spätbarock und der Aufklärung schauten europäische Gelehrte mit Bewunderung nach China. Die chinesische Form des Regierens beeindruckte die europäischen Philosophen der Aufklärung: Ein Kaiser, dessen Funktion darin bestand, die Harmonie zwischen Himmel und Erde zu wahren, der das Mandat hatte, die Dinge im Gleichgewicht zu halten, der nicht einer Dynastie entstammen musste, sondern gegebenenfalls aus dem Volk kommen konnte, der auch gestürzt werden konnte. Das alles kannte man in Europa nicht. Der europäische Adel, der die Politik bestimmte und das höchste Ansehen genoss, war letztendlich eine Kaste von Kriegsherren und deren Nachfahren. Im Gegensatz dazu hatte ein Soldat in China eine der niedrigsten Stellungen in der Gesellschaft, während das Mandarinat, also die Verwaltung, aus Eliten bestand, die als Philosophen und Schriftgelehrte durch Examina über den Konfuzianismus in ihre hohen Positionen gelangt waren. Bis heute haben Gelehrsamkeit und Bildung in China den höchsten gesellschaftlichen Status. Die Missionierung Chinas hatte nicht funktioniert. Uralte Traditionen, Überlieferungen und kulturelle Festigkeit, die tief wurzeln und die chinesische Identität ausmachen, waren resistent. Die europäische Kultur ist von ihrem Wertekanon tief überzeugt, aber China setzte dem Westen mit seinen Wertvorstellungen etwas entgegen, von dem die Chinesen zu recht sagen, dass es den europäischen Werten zumindest ebenbürtig ist.

  • Das Chinesische Neujahr

    Das Chinesische Neujahr nähert sich unaufhaltsam. In der Schule tauchte ein Filmteam mit einem Koch und der Moderatorin von einem Schanghaier Lokalsender auf, um einen kurzen Beitrag über das zum Chinesische Neujahr für eine Lokalsendung zu machen, wie es sie bei uns in den dritten Programmen gibt. Es wurde berichtet von den üblichen Dekorationen, die im einzelnen erklärt und vorgestellt wurden, über das Dekorieren der Fenster und Türen, bis hin zum Kochen. Der Regisseur ordnet die Speisen auf dem Tisch an und die Moderatorin schaut sich an, worüber sie gleich sprechen wird. An Wohnungs- und Haustüren werden überall Spruchbänder, sog. Duilans, angebracht. Sie haben eine über 1000-jährige Tradition in der chinesischen Literatur. Vor dem Neujahrsfest kann man sie überall in Supermärkten oder Schreibwarenläden kaufen. Sie sollen Glück, Erfolg und Wohlstand für das kommende Jahr bringen. Die Zeichen wurden früher mit schwarzer Tusche auf roten Grund geschrieben. Rot gilt in China als Farbe des Glücks. Die Anbringung der Spruchbänder folgt festen Regeln: links, rechts und mittig oberhalb der Tür. Auf die Tür selbst wird ein oft prachtvoll gestaltetes Zeichen für Fu gehängt oder geklebt. Die Sprüche unterliegen ebenfalls festgelegten Regeln, die Anzahl der Schriftzeichen ist auf beiden Seiten gleich, je zwei gegenüberliegende Zeichen aus den beiden Hälften stehen in einer Beziehung zueinander, die Bedeutung dieser korrespondierenden Zeichen sind ähnlich oder gehören der gleichen Bedeutungsebene an, so findet sich bei einem Zahlwort ebenfalls ein Zahlwort gegenüberliegend, die Wortart ist dabei meistens gleich, so findet sich im unteren Teil ein Substantiv, wenn auch im oberen Teil an gleicher Stelle ein Substantiv steht und in einigen Verspaaren sind die Töne der Silben korrespondierender Zeichen zusätzlich aufeinander abgestimmt. Chinesische Lyrik folgt gänzlich anderen Regeln als europäische. Ein Schreibwarenladen, voller Dekoartikel zum Chinesischen Neujahrsfest. Früher schrieben die Menschen ihre Spruchbänder selber, aber die antik chinesischen Zeichen beherrschen nur noch wenige Menschen. Auch ist die Kunst der Kalligraphie nur mit viel Aufwand erlernbar. Außerdem gab es Umzüge mit viel Lärm, Trommeln, Becken und Feuerwerk, um die bösen Geister des alten Jahres zu vertreiben. Punkt Mitternacht wird noch vielerorts Feuerwerk entzündet, ganz nach chinesischer Tradition mit vielen Böllern, aber in Städten wie z.B. Schanghai sind Feuerwerke aus Umweltschutzgründen nicht mehr erlaubt. Die Häuser und Gassen um den Yu Yuen Garten werden jedes Jahr vor dem Chinesischen Neujahrsfest festlich illuminiert. In allen Gassen des Yu Yuen kann man unter Laternen flanieren, die in der Zeit vor dem Neujahr allabendlich das ganze Viertel farbenprächtig beleuchten. Das Chinesische Neujahrsfest endet zwei Wochen nach dem Neujahrstag mit dem Laternenfest, einem weiteren Höhepunkt der Feiertage im chinesischen Kalender. Wenige Tage vor dem chinesischen Fest der Feste wird das Leben langsam herunter gefahren. Geschäfte schließen, machen Ferien und eine sonderbare Stille legt sich über das gesamte Land. 1,4 Milliarden Menschen feiern das Neujahr mit großer Ernsthaftigkeit, die gesamte Wirtschaft des Landes ist darauf eingestellt und plant diese Auszeit fest im Jahresplan ein.

  • Waitan Residential District

    Wenn man vom Platz des Volkes zur Flusspromenade am Bund geht, folgt man geradewegs der Nanjing Road, der bekanntesten Straße Schanghais, einer lebendigen Fußgängerzone mit teuren Geschäften. Städtebaulich und architektonisch ist die Straße keine Rarität, aber sie ist sehr bekannt. Außerdem will man zielstrebig zum Bund und die Skyline sehen. Also geht man schnurstracks dorthin und übersieht die Gegenden und Viertel, die links und rechts von der Nanjing Road liegen. Nur wenige Meter von der hektischen Betriebsamkeit der Einkaufsstraße kann man den Konsum ausblenden, es wird ruhiger und beschaulicher. Die Reizüberflutung lässt nach und stattliche Gebäude ehemaliger Handelsniederlassungen sowie alte Wohnviertel haben eine Chance, wahrgenommen zu werden. Zwischen Nanjing Road und Suzhou Fluss - der nördliche Teil Ich beginne meine Erkundungstour am Suzhou-Fluss, der nördlichen Begrenzung des Gebietes, das ich mir erlaufen will. Das Areal ist Teil der ehemaligen britischen Konzession, die sich vom nördlich gelegenen Suzhou-Fluss Richtung Süden bis zur Yan'an Road ausdehnt. Östlich wird dieses Areal begrenzt durch den Bund. Direkt am Suzhou-Fluss liegt das ehemalige Hauptpostgebäude Schanghais. Von dort geht es südwärts auf der Sichuan Road. Nach einiger Zeit erreicht man die Dianchi Road, die manchmal als Filmset genutzt wird. Für Filmaufnahmen wird die Straße abgesperrt und gegebenenfalls mit Nebelmaschinen eine cineastische Atmosphäre geschaffen. Dort findet man zwei interessante, alte Institutionen Schanghais, das East Sea Coffee und den Jazz Club im Fairmont Peace Hotel. East Sea Coffee Das East Sea Coffee wirkt etwas plüschig und man fühlt sich wie im alten Europa, etwa in Wien. Man bekommt nur schwer einen Platz und muss meistens auf einem der gelb gepolsterten Hocker vor dem Tresen Platz nehmen, bis man einen Tisch zugewiesen bekommt. Das Personal spricht Englisch und außer Kaffee und Kuchen gibt es hier auch Mittagessen, wofür viele Gäste gern kommen, so dass man auch mittags nicht sofort platziert wird. Auf der Speisekarte stehen diverse russische Gerichte mit Borsch. Das Café wurde 1941 von dem russisch-jüdischen Einwanderer Semyon Libermann gegründet, der wie viele andere jüdische Emigranten aus Europa hierher floh. Vor allem die aus Wien stammenden Juden bereicherten die Kaffeehausszene Schanghais mit ihren Neugründungen. Das East Side Coffee hieß anfangs Mars Café, befand sich auf der 147-149 Nanjing Road, bis es nach Schließungen und Neueröffnungen an seinen heutigen Ort, 110 Dianchi Road, gelangte und seinen jetzigen Namen bekam. Besonders empfehlenswert ist der Lemon Pie mit Baiserhaube. Der Jazz Club im Fairmont Peace Hotel Ein paar Meter weiter gibt es eine andere legendäre Institution Schanghais, die älteste Jazzband der Welt, die es schon mehrfach ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft hat. Gegründet wurde sie 1980, der älteste Musiker verstarb vor kurzem im Alter von 94, der jüngste ist 79 (Stand 2022). Sie spielen dort jeden Abend von 20 Uhr bis 1 Uhr. Ab 21 Uhr kommt kommt die Sängerin dazu, der Eintritt kostet 300 Yuan, für diese Summe kann man dann essen und trinken. Wer mehr trinkt und isst, zahlt natürlich mehr. Die Band wird beworben mit den Worten, dass sie zwar nicht die beste Jazzband der Welt sei, dafür aber die älteste. Es gibt in Schanghai sicher spritzigere musikalische Erlebnisse, aber allein die Atmosphäre in dem grandiosen Peace-Hotel ist schon einen Besuch wert. Das Essen ist gut und die Musik begleitet den Abend. Der deutsche Filmemacher Uli Gaulke produzierte 2021 über die Band die Dokumentation "As Time Goes By". In jedem Stadtteil gibt es alte Viertel mit zweigeschossiger Bebauung, die nach und nach abgerissen werden - so auch hier. Damit stirbt ein altes Stück Shanghai und viel chinesische Alltagskultur verschwindet für immer. Wenn man ein richtig lebendiges altes Viertel besucht, von denen es nicht mehr viele gibt, erlebt man das pralle Leben Chinas. Fast labyrinthartig reiht sich dort Gasse an Gasse, überall sind Bewohner, die irgendetwas arbeiten, reparieren, kochen, schlafen, spielen. Die Gebäude wirken kaum renovierbar und haben nicht den Komfort, den man heute für selbstverständlich hält. Von unseren Vorstellungen hinsichtlich energetischer Bauweise braucht man gar nicht erst anzufangen. Dennoch ist der Abriss dieser Viertel ein Verlust. Wenn ein Viertel kurz vor dem Verschwinden steht, werden die Türen zugemauert, die Fenster in den Obergeschossen werden von innen mit roten Holzplatten zugenagelt. Manchmal wird ein Kreuz auf die Fensterscheibe gepinselt, so wie bei Bäumen, die gefällt werden sollen. Einzelne Einwohner leben noch dort bis zuletzt. Manche Häuserzeilen sind noch nicht betroffen, aber es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis auch ihr Schicksal besiegelt ist. Die Fotos unten zeigen ein Viertel, das bald abgerissen wird. Zwischen Nanjing Road und Yan'an Road - der südliche Teil Südlich der Nanjing Road erstreckt sich das Viertel bis zur Yan'an Road. Ich folge zunächst der Sichuan Road und biege nach einigen Metern rechts in die Jiujiang Road. Meine Suche führt mich zu einer bei Deutschen bekannten Institution, dem Restaurant "Schindlers Tankstelle". Die Speisekarte ist authentisch und man bekommt vieles, von der Currywurst über Rinderrouladen bis zu Schupfnudeln, Käsespätzlen, Kaiserschmarrn und natürlich dürfen die Schweinshaxe und die Wurstplatte nicht fehlen. Die Küche ist eindeutig süddeutsch ausgerichtet, Rote Grütze fehlt ebenso wie Finkenwerder Scholle, Matjes mit Bratkartoffeln oder Grünkohl. Aber man kennt es - im Ausland ist deutsch gleich süddeutsch. Wenn man alle Regionen abbilden wollte, würde es die ohnehin schon reichlich bestückte Karte sprengen. Wenigstens gibt es einen riesigen Bildschirm mit filmischen Luftaufnahmen von ganz Deutschland und an den Wänden hängen Bilder von Potsdam usw. Das Essen schmeckt authentisch und wer nach monatelangem Aufenthalt in Schanghai endlich einmal etwas anderes will als chinesische Küche, kann sich hier ein bisschen wie zu Hause fühlen. Direkt neben dem Restaurant gibt es einen Buchladen, der irgendwie an eine Bibliothek erinnert, den Buchladen des Christian Council National Committee of Three-Self Patriot Movement of Protestant Churches in China. Es ist eine Mischung aus Café, Studierplätzen, einem Vortragssaal und natürlich einfach einem Buchladen. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite hat die evangelische Kirche Chinas ihre Zentrale. Sie ist die größte evangelische Gemeinde weltweit, was aber prozentual umgerechnet auf die Einwohnerzahl Chinas nicht viel ausmacht. Das Gebäude wurde während der Kulturrevolution zerstört, aber danach im alten Stil wieder errichtet. Direkt nebenan befindet sich die anglikanische Holy Trinity Church, die aber im Moment (Stand Frühjahr 2022) wegen Renovierungsarbeiten nicht besichtigt werden kann. Sie wurde 1869 fertiggestellt, heißt bei den Shanghaiern "rote" Kirche wegen der Backsteine, mit denen sie im neogotischen Stil errichtet wurde. Direkt neben der Kirche an der Ecke Jiangxi Road, Hankou Road liegt das alte Rathaus Shanghais, das auf seine Renovierung wartet. Es ist in einigen Filmen zu sehen, die dem Genre "Shanghai-Films" zugeordnet werden, unter anderem dem Film "Rote Sonne" aus den 60er Jahren, einem Revolutionsfilm, der die Vertreibung der deutlich besser ausgerüsteten Kuomintang, die sich im Rathaus verschanzt hatten, durch die Volksbefreiungsarmee thematisiert. Geht man die Hankou Road Richtung Bund, erreicht man bald ein weiteres deutsches Restaurant, das "1886". Hier wird ganz auf Automobiltechnik gemacht. An der Decke des Restaurants hängt ein sich drehender Porsche, BMW-Motorräder zieren die Pfeiler und die Sitze sind in nachgebildete Karosserieteile eingebaut. Das Besteck sieht aus wie Schraubschlüssel, die Vasen sind Kugellager und das ganze Ambiente hat eine Ästhetik von Rost, Stahl und Nieten, die irgendwie ein bisschen an Clubs der etwas härteren Gangart in Berlin erinnern. Deutschland mal anders, nicht in weiß-blauer Oktoberfest-Manier, sondern im coolen Techniklook der Welt der Schrauber. Die Speisekarte ist nicht so deutsch wie bei Schindlers Tankstelle und wüsste man nicht, dass man in einem deutschen Restaurant sitzt, würde man es an der Speisekarte nur ab und zu bemerken. Von dort führt mich mein Weg zurück zur Fuzhou Road, die ich weiter Richtung Süden gehe. An der Kreuzung Fuzhou Road/Jiangxi Road gibt es ein beeindruckendes Architekturansemble, bestehend aus vier Art-deco-Hochhäsern an jeder Ecke der Kreuzung, die mit ihren konkaven Fassaden eine zylinderartige Einheit bilden. Zwei der Gebäude sind vollkommen symmetrisch gestaltet. Es sind das ehemalige Metropole Hotel, das von dem Immobilienmogul Sir Victor Sassoon gebaut wurde, auf dessen Initiative auch der Bau des Peace Hotels am Bund/ Ecke Nanjing Road zurück geht, eben jenes Hotel mit dem Senioren-Jazz-Club, sowie das symmetrische Gebäude auf der gegenüberliegenden Ecke, das Hamilton House, das vermutlich auch durch Sassons Initiative entstand. Ein wenig erinnert das Ensemble an Stadtplanungen aus der Renaissance oder dem Barockzeitalter, als Gebäude in einen Gesamtplan eingebunden wurden und die Stadt an sich zum durchgeplanten Kunstwerk wurde. Der Art Deko-Stil der Hochhäuser erinnert ein bisschen an Gotham City, eine Assoziation, die ich in Schanghai öfters bekomme. Von hier geht es die Fuzhou Road hinab Richtung Bund. Dort, so las ich, solle es ein Café geben mit einem Balkon, vom dem man beim Kaffee trinken den perfekten Blick auf den Oriental Pearl Tower hat. Künstlerisch, unkonventionell soll es sein, vielleicht mit ein bisschen Marrakesch- oder Havanna-Feeling ... das Chonor Café. Das Haus finde ich, ich gehe vorbei am schlafenden Hauswart und ich staune, dass es hier ein Café geben soll. Die Bilder im Treppenhaus verweisen eindeutig auf die richtige Spur, aber ansonsten habe ich das Gefühl, mich in ein ganz normales, aber ärmlich wirkendes Wohnhaus verlaufen zu haben. Die Etage und Tür finde ich, aber die Bewohnerin, die ich dort treffe, sagt mir, dass es kein Café gebe. Schanghai ist schnelllebig, also habe ich wohl Pech gehabt und die Hinweise im Internet sind überholt. Statt dessen sehe mich in der ungewöhnlichen Umgebung um. Nur 50 Meter vom Bund entfernt, mitten in einer der teuersten Gegenden der Welt, finde ich dieses Haus mit Gemeinschaftsküchen, Gemeinschaftswaschbecken und Zimmern der Bewohnern, die nebeneinander an den Fluren liegen. Ich frage mich, ob mich die Holzdielenböden und steilen Holzstiegen halten und sehe ein Relikt, wie es noch vor wenigen Jahrzehnten in Schanghai überall zu finden war. Nebenan gibt es, wie häufig in dieser Stadt, ganz normale bodenständige Wohnviertel. Weiter führt mich mein Weg auf der Jiangxi Road bis zur Yan'an Road, dem Ende der ehemaligen englischen Konzession. Heute ist die Yan'an Road eine der großen Achsen, die Shanghai durchziehen. Früher verlief dort der Kanal Yangjingbang Creek, der die Grenze zwischen der englischen und französischen Konzession bildete. So sah die Gegend früher aus: Später wurde der Kanal zugeschüttet, um darauf die Edward VII. Avenue anzulegen. Später wurde die Straße umbenannt in Yan'an Road. Die Straße führt, wie ehedem der Kanal, hinunter zum Huangpu Fluss, dort wo noch der historische Gutzlaff-Signal-Tower steht, den man auf dem folgenden Foto ganz links und klein am Ende der Straße sieht. Es ist der weiße Turm mit dem kreuzartigen Fahnenmast als Spitze. Dieser Turm markierte die Grenze zwischen der englischen und der französischen Konzession. Als man am Huangpu-Fluss die Promenade errichtete, brauchte man Platz und versetzte den Turm ein paar Meter vom Ufer weg. Der Gutzlaff-Signal-Tower, Landmark an der Grenze zwischen britischer und französischer Konzession. Die britische Konzession endet hier, aber man kann weitergehen. Es bleibt interessant. Man überquert die breite Yan'an Road, läuft ein kurzes Stück durch die französische Konzession und erreicht bald das Gebiet des alten chinesischen Schanghais, das von einer mittelalterlichen Stadtmauer aus der Ming-Zeit umgeben war. Die chinesische Stadtmauer wurde vor langer Zeit abgerissen und später das beeindruckende Tor errichtet, das genau dort steht, wo einst die Stadtmauer entlang lief. Heute ist es der Eingang zum bei Touristen beliebten Yu Yuan Garten.

  • Porzellan - mein Töpferkurs und das weiße Gold Chinas

    Wenn man sich mit China befasst, geht kein Weg am Porzellan vorbei. Neben Seide und Tee ist es eines der traditionsreichen Produkte des Landes, das zu dessen Reichtum führte. All das ist lange vorbei. Mit Porzellan wird man heute nicht mehr reich, aber China und Porzellan gehören einfach zusammen. Was liegt also näher, als einen Töpferkurs zu belegen, um die Grundlagen der Porzellanherstellung zu lernen? Gesagt, getan. Die Werkstatt für den Kurs befindet sich in einer kleinen Stichstraße der Shaanxi Road. Im Zentrum Schanghais gibt es überall diese ruhigen Stichstraßen, die ganz nach chinesischer Compound-Art durch eine Einfahrt mit Pförtnerhäuschen von der Hauptstraße abgetrennt sind. Dort geht es beschaulich zu: Nachbarschaft, kein Durchgangsverkehr, kleine Gärten - alles etwas ungepflegt, aber die Nachlässigkeit hat Charme. Das Laub vom letzten Herbst liegt noch in den Gärten, die Blumen in den Töpfen sind vertrocknet und die abgestorbenen Blätter an den Palmen werden gar nicht erst abgeschnitten. Diese Stichstraßen erinnern mich ein bisschen an die "Mews" in London, ebenfalls kleine Stichstraßen, die dort im 18. und 19. Jahrhundert angelegt wurden, um Ställe und Garagen für Droschken und Fuhrwerke in ihnen unterzubringen. Heutzutage sind diese Londoner Mews absolute Luxuswohngegenden. In Schanghai sind sie ebenfalls unbezahlbar, aber noch wohnen dort die ursprünglichen Bewohner mitten im Zentrum gelegen, trotzdem ruhig und überschaubar, fast nachbarschaftlich. Katzen liegen schläfrig herum, Motorräder parken am Rand und während ich die Gegend erkunde, fällt mein Blick in Wohnungen, deren Kronleuchter und Gemälde auf stilsichere Bewohner schließen lassen oder ich sehe durchs Fenster eine alte Frau am Klavier, während ihr Mann am Tisch chinesische Kaligraphie übt. Der Kurs In einer dieser Stichstraßen liegt die Werkstatt, die verschiedene Kurse anbietet. Ich wähle das Töpfern an rotierender Scheibe. Vier Kursteilnehmer - drei Chinesinnen und ich - sowie ein chinesischer Lehrer machen sich daran, die Grundlagen an vier Samstagnachmittagen zu lernen. Der Lehrer spricht so gut wie kein Englisch, aber man lernt sowieso am besten durchs Zugucken. Anfängerglück hilft, um motiviert zu bleiben. Auf der rotierenden Töpferscheibe können die Dinge schnell außer Kontrolle geraten. Sobald der Tonklumpen, der zu einer Tasse werden soll, anfängt zu eiern, ist nichts mehr zu retten. Man muss sich konzentrieren und stets mehreres gleichzeitig im Auge behalten. Es strengt an, stundenlang zu sitzen, vornüber gebeugt zu sein, sich zu konzentrieren mit nassen, matschigen Händen. Nach der Arbeit folgt noch das Aufräumen und Putzen. Ich bin müde. Am nächsten Samstag sind die Arbeitsschritte schon deutlich sauberer und nicht mehr so matschig. Die Objekte sind abgetrocknet und bekommen ihren Feinschliff: einen schönen Boden mit flacher Mulde, die die spätere Glasur auf der Unterseite schützt, alles wird geglättet und in eine schöne Form gebracht, der Henkel wird auch noch befestigt. Bei dieser Arbeit versinke ich wieder in Konzentration und strebe nach der perfekten, rund laufenden glatten Form. Fein säuberlich wird vom rotierenden Objekt abgeschliffen, die Arbeitsschritte erinnern mich ans Drechseln. Die ersten Tassen und Teller sind fertig. Die Rillen auf der Tasse sollen stilisierte Bambusstangen darstellen. Der Kurs sollte eigentlich an vier Samstagen stattfinden. Aber der Corona-Lockdown unterbrach alles. Mittlerweile bin ich wieder in Deutschland, die Töpferschule habe ich vor meinem Abflug nicht mehr gesehen. Wenn ich nach China zurückkehre, wird voraussichtlich der Kurs fortgesetzt. Aber das alles steht noch in den Sternen. Über Porzellan Was ist Porzellan? Porzellan gehört zu den traditionsreichsten Produkten Chinas. Deshalb wird es bei den Briten auch als "China" bezeichnet. Es wird aus drei Grundstoffen hergestellt: Kaolin, Quarz und Feldspat, die je nach Porzellansorte (z.B: Ostasiatisches Porzellan, Meißener Porzellan usw.) in einem bestimmten Verhältnis gemischt werden. Kaolin ist ein weißer Ton, der in Deutschland in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, der Oberpfalz und vereinzelt im Westerwald und im Rheingau vorkommt. Das Mischverhältnis von Kaolin mit Quarz und Feldspat entscheidet über den späteren Härtegrad des Prozellans. Je mehr Kaolin der Mischung beigefügt wird, desto höher muss die Brenntemperatur sein und desto härter wird das Porzellan. Weichporzellan wird mit einem Anteil von ca. 25 % Kaolin bei niedrigeren Temperaturen mit 1200-1300 Grad gebrannt. Hartporzellan hat einen Kaolinanteil von über 50% und wird bei einer Temperatur um die 1500 Grad gebrannt. Bei dem Brennprozess verbinden sich kristalline, körnige und pulverige Strukturen miteinander. Der Feldspatbestandteil schmilzt während des Brennvorgangs und kristallisiert beim Abkühlen nicht wieder aus, so dass Porzellan - ähnlich wie Glas - eine unterkühlte Schmelze ist, die sich bei normalen Temperaturen im festen Aggregatzustand befindet. Das macht Porzellan in dünnem Zustand lichtdurchlässig. Die Porzellanhauptstadt Chinas: Jingdezhen Kaolin wurde bis ins 17. Jahrhhundert in Deutschland als Weißton oder Passauer Erde bezeichnet. Das heutige Wort Kaolin leitet sich von dem Namen des chinesischen Dorfes Gaoling ab, das in der südchinesischen Provinz Jiangxi liegt. Das Dorf gehört zur Stadt Jingdezhen und damit ist man schon bei dem bedeutendsten Ort der chinesischen Porzellanherstellung, in Jingdezhen. Dort wurden das Porzellan Chinas sowie seine keramischen Vorläufer schon seit der Han-Dynastie (202 v. Chr .- 220 n. Chr.) hergestellt. Im Jahr 1004 n.Chr. machte der Song-Kaiser Zhendong Jingdezhen zur kaiserlichen Produktionsstätte für Porzellan und seit tausend Jahren ist dies Chinas Porzellanhauptstadt. In der Nähe der Stadt gibt es reiche Vorkommen des Weißtons, sowie den Fluss Changjiang für den Transport der Produkte, aber auch Wälder in den umliegenden Bergen, die Holz zum Befeuern der Brennöfen lieferten. Ein Geschäft in der Shaanxi Road Nord/ Ecke Nanjing Road West in Schanghai, das ausschließlich Porzellan aus Jingdezhen verkauft. Seit wann gibt es Porzellan in China? Die Frage ist schwierig zu beantworten, denn schon die Definition von Porzellan variiert. In China unterscheidet man in heißgebranntes und kaltgebranntes Porzellan, während man in Europa kaltgebrannte Produkte als Keramik oder Steingut bezeichnet. Keramiken nach europäischer Definition gibt es in China schon seit 7000 v. Chr., von Porzellanen, die bei einer Temperatur von 1260 -1300 Grad gebrannt wurden, spricht man erst seit der Zeit der Östlichen Han-Dynastie, also um 100-200 nach Chr. Aus dieser Zeit gibt es archäologische Funde von Scherben, die bei über 1250 Grad gebrannt wurden, in der Provinz Zhejiang, die südlich von der Jangtse-Mündung gefunden wurden. Porzellan im Schanghai Museum Im Schanghai Museum, das im Park des Volkes (People's Park) liegt, gibt es viel antike chinesische Kunst zu sehen. Die Porzellanabteilung ist die größte im Museum. Daneben gibt es noch Bronzen, Skulpturen, traditionelle Malerei, Kalligraphie, Siegel-Schnitzkunst, Münzen, Jade, antike Möbel sowie Artefakte und Trachten der nationalen Minderheiten Chinas. Man kann in diesem Museum die gesamte Geschichte des Porzellans in China verfolgen. Hier nur ein paar wenige Bildinfos, Porzellan ist ein gigantisches Thema, bei dem der Erwerb einer Expertise eine Lebensaufgabe ist. In der Porzellanabteilung werden tradtitionelle Töpferwerkstätten und Brennmöglichekiten gezeigt und genau beschrieben. Außerdem gibt es kleine Modelle der Gegenden, in denen die Manufakturen angesiedelt waren. Es sieht ein bisschen aus wie eine Modelleisenbahnlandschaft. Ausschnitt eines Modells einer Landschaft mit ehemaliger Porzellanherstellung. Besonders niedlich habe ich zwei kleine Kinder in Erinnerung, die staunend über den Rand der Tischvitrine auf dieses Modell guckten. In China werden Kinder sehr früh an die eigene Kultur herangeführt. Auch in meiner chinesischen Schülerschaft spüre ich eine tiefe Identifikation damit. In den Ferien war das Museum voll mit Kindern. Typisches Produkt der Tang-Dynastie (7. Jahrhhundert), oft wurden Kamele und andere figürliche Darstellungen produziert. Das auffälligste Merkmal ist die dreifarbige Bleiglasur in Braun, Grün und Creme. Seladon-Porzellan (960-1279) wurde hauptsächlich während der Song-Zeit hergestellt. Die grau-grüne Farbe entsteht durch die Reduktion von Eisen(III)-Oxid zu Eisen(II)-Oxyd während des Brennvorgangs. Dieses Porzellan entsprich unserer europäischen Definition von Steinzeug wegen der niedrigen Brenntemperatur. Während der Ming-Dynastie kam es schließlich bis nach Europa, wo es mit Gold aufgewogen wurde. Anfang des 14. Jahrhunderts wurde die sogenannte Blau-Weiß-Ware besonders populär. Die Blütezeit dieses Stils wurde in der Ming-Zeit (1368-1644) erreicht. Das Dekor, eine Mischung aus Cobald und Wasser, wurde vor dem Brenn- und dem Glasurvorgang mit dem Pinsel aufgetragen Meistens war es floral, geometrisch und ornamental, später kamen figürliche Darstellungen hinzu, z.B: Drachen. Die bekannteste Adaption dieses Stils in Europa ist das Dekor des Meißener Zwiebelmusters. Im Gegensatz zur Unterglasurmalerei in der Ming-Zeit, wurde in der Zeit von 1662 - 1796 der Periode der drei großen Qing-Kaiser (Qing-Dynastie: 644 - 1911) das Dekor auf die Glasur gemalt. Besonders auffällig ist die Ergänzung der Farbpalette. Es wird bunter. In den Motiven wandte man sich auch mehr gegenständlichen Darstellungen zu: Blumen, Vögel, Szenen aus der chinesischen Geschichte, Mythologie und Literatur usw.

  • Essen in China

    Das Essen in China ist auf jeden Fall einen Beitrag wert, denn die chinesische Küche zählt zu den besten der Welt. Wer mit Chinesen Harmonie erleben will, geht mit ihnen am besten essen. Essen verbindet, Essen versöhnt, Essen beeinflusst die Lebensenergie, Essen ist Philosophie. Wenn man einen Streit hatte, ist die Einladung zum Essen die direkte Aufforderung zur Versöhnung, zum Vergeben, alle weiteren Worte wären in diesem Fall überflüssig - sogar eher kontraproduktiv. Beim Essen trifft man Freunde, die Familie, die Kollegen, man macht Geschäfte, man macht dabei alles. Man muss nicht unbedingt zu Hause kochen, um Freunden die Wertschätzung entgegenzubringen, man kann auch essen gehen - und es ist preiswert, daher tun es die Chinesen oft und jederzeit. Garküchen, Hot-Pot-Restaurants, aber auch gehobene Restaurants, die man für Festessen aufsucht, bieten etwas für alle Gelegenheiten und jeden Geldbeutel. Sauber ist anders, aber so geht es in den Garküchen zu. Hot Pot-Restaurant Was ist das, Hot Pot? Ursprünglich stammt das Essen aus Sichuan, einer nassen und kalten Provinz, weshalb man man dort SEHR scharf isst. Es ist übrigens die einzige Provinz, in der es wildlebende Pandas gibt. Man sagt, die Hitze im Körper, die durch die Schärfe verursacht wird, helfe gegen Kälte und Feuchtigkeit. Der Hot Pot ist aber mittlerweile ein landesweit verbreitetes, sehr populäres Gericht und daher bekommt man ihn überall, begehrt vor allem in den Wintermonaten. Er ist vergleichbar mit einem Fondue. Man kocht allerlei leckere Dinge in einem Sud, fischt sie heraus und isst sie mit Sesamsoße oder Soja mit Essig, eingelegtem, zerstampften Knoblauch und Koriander usw. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Den Schärfegrad des Suds kann man wählen oder man bestellt gleich einen Hot Pot mit zwei Schärfegraden in einem Gefäß mit Trennwand für beide Suds. Hot Pots, die auf ihren Einsatz warten An meinem ersten Tag in der Schule ging es in der Mittagspause erst einmal in eines dieser guten Restaurants mit der Schulleitung und einigen Kollegen, die etwas zu sagen haben oder täglich mit mir arbeiten. Wir bekamen einen separaten Raum zugeteilt und dann wurde aufgefahren. In China wird am großen, runden Tisch gegessen, mit drehbarer Platte in der Mitte, auf der die Speisen stehen. Dadurch kann man alle Gerichte erreichen. Beim ersten Bissen, den man von einer Speise probiert, wird wohlwollend und anerkennend genickt, wenn sie gut schmeckt. Man nimmt kleine Portionen mit den Stäbchen und benutzt dabei dieselben Stäbchen zum Essen wie zum Nachlegen, Empfindlich darf man nicht sein, wenn alle dieselben Stäbchen zum Essen und Nachlegen benutzen. So ist das hier nun mal. Während des Essens sind die Speisen ein Gesprächsthema, man wird gefragt, welche man besonders mag, man redet über die regionalen Küchen Chinas und ihre Eigenarten, von der wohltuenden heilsamen Wirkung einer heißen Entensuppe im Herbst usw. Diese Entensuppe gab es übrigens auch bei meinem Willkommensessen. In einer großen Terrine, die auf offenem Feuer am Tisch kochte und dampfte, schwamm eine komplette Ente mit Kopf, Schnabel und allem, nur gerupft und ausgenommen war sie. Wenn man sich darauf einlässt und die Chinesen spüren, dass man echte Freude an ihrer Esskultur hat, ist viel gewonnen. Mein spanischer Kollege mag chinesische Küche nicht und weicht auf Burger King und Kentucky Fried Chicken aus. Das kommt in China nicht gut an. Auch als wir im Unterricht über interkulturelle Kompetenzen im Berufsleben diskutierten, waren sich alle chinesischen Schüler einig, dass bei Begegnungen mit Geschäftspartnern ein gemeinsames Essen dazugehört, um wichtige Dinge abzuschließen. Wenn man sich auf diesen Teil der chinesischen Kultur nicht einlässt, könnte man ein Geschäft vermasseln. Interessant auch, wenn man in den ersten Stunden als neuer Lehrer die Schüler in einer Kennenlernrunde fragt, welche Hobbys sie haben. Nicht selten wird erwähnt: Kochen. Interessanterweise vor allem von den Jungen. In jeder Klasse einige. Und ich wurde oft von 13-jährigen, chinesischen Hobbyköchen gefragt, was man in der Region isst, aus der ich komme. "Hmm, Pumpernickel, Westfälischer Schinken, Steinhäger, Apfelkraut, Reibekuchen, Panhas ..." Wie erklärt man das Chinesen? Auch ein Klassiker der chinesischen Küche: Hühnerfleisch, Erdnüsse und extra scharf Chilli-Schoten. Ich konnte die Chilli-Schoten nicht essen. Es war unerträglich scharf. Während ich hier so vor mich hin tippe, sitze ich im stillen Lehrerzimmer. Es gab vor einer halben Stunde Mittagessen und ich bin umgeben von Kollegen, die alle - man glaubt es nicht - ihre Sitze in Liegeposition zurückgelegt haben und kollektiv Mittagsschlaf halten. Dieser Mittagsschlaf ist ein chinesisches Ritual nach jedem Essen. Außer mir ist noch eine Schülerin wach, die im Rahmen individueller Förderung eine Extraaufgabe bekommen hat und diese in der Mittagspause hier im Lehrerzimmer in Anwesenheit der schlafenden Lehrer löst. ___________________ Aber zurück zum Essen: Wann immer man die Straße betritt, auf der es in China grundsätzlich geschäftig wuselt, sieht man hauptsächlich Menschen, die entweder Essen transportieren oder verkaufen oder zubereiten oder zu sich nehmen. Man hat den Eindruck, dass sich in zwei Drittel der Geschäfte alles ums Essen dreht. Man betritt einen Family Mart, eine Art Trinkhalle, Späti oder Kiosk nach chinesischer Art, und riecht den Duft von Tee-Eiern, jene gekochten Eier, deren Schale rundherum angeknackst wird, damit das Aroma eines Suds aus Teeblättern und Sojasoße, Ingwer, Sake, Zucker, Salz, Szechuan-Pfeffer, Lorbeer in sie eindringen kann. In diesem heißen Sud liegen sie den ganzen Tag, sehen abenteuerlich aus und man fragt sich, wie lange sie da schon vor sich hin simmern, aber wenn man sie probiert, entfaltet sich ein wunderbarer Wohlgeschmack im Mund. Alles wird in den Garküchen grundsätzlich frisch zubereitet. Morgens sieht man, wie der Hefeteig geknetet und portioniert wird, das Fleisch auf die Spieße gesteckt wird. Nichts davon kommt aus der Fabrik, nichts wird fertig angeliefert. Hier würde man die Einrichtung einer Bäckerei am Stadtrand und das Anlieferverfahren vermutlich für zu aufwendig halten. Da macht man lieber alles gleich selber. Es ist ja auch geselliger, weil nebenan die anderen Geschäfte geöffnet sind. Man sich kennt und stellt jeden Morgen aufs Neue fest, dass der Nachbar da ist und es ihm gut geht. Die Garküchen schließen erst dann, wenn alles verkauft ist. Altes Essen wird man in China nicht bekommen. Oft weiß man nicht, was in den Garküchen verkauft wird, aber man wird neugierig, probiert es, mag es, kauft es am nächsten Tag wieder, so dass der Besitzer der Garküche einen schon von weitem sieht, wenn man sich nähert, und das Richtige heraussucht. Man stellt fest, dass man genau das kauft, was auch Chinesen gern frühstücken. Irgendwann nimmt man sich morgens beim Frühstück in der Schule eine Ölstange - eine längliches Stück Hefeteig, das in Öl ausgebacken wurde, tunkt es in seine Sojamilch und merkt, dass man damit die chinesischen Kollegen verblüfft, weil es so typisch chinesisch ist, eine Ölstange in Sojamilch zu tunken.. Noch etwas zu den Manieren :) Eines Abends saß ich in einem ziemlich einfachen, aber richtig guten Fischrestaurant, hatte mich wie immer durch die Speisekarte gequält und mit viel Aufwand dem Kellner klar gemacht, dass ich etwas ähnliches haben will wie die Leute am Nebentisch. Da saßen zwei Männer und eine Frau und schlemmten Dinge, die bei uns eher in die Gourmetkategorie gehören würden. Schalentiere, Tintenfisch - alles, was das Meer an Exotik zu bieten hat. Es waren vermutlich einfache Leute, die Bier aus Flaschen tranken, rauchten und die Kippen und die Asche auf dem Boden warfen, während die Frau, deren Schuhe kreuz und quer unter dem Tisch lagen, ununterbrochen und lautstark auf die beiden Männer einredete. Süditalien ist nichts dagegen. Der Platz, an dem die drei saßen, sah nach ihrem Weggehen abenteuerlich aus. Danach wurde der Tisch abgeräumt, abgerückt, ein Putzkommando rückte an und machte alles sauber für die nächsten Gäste. Übrigens ist das keine Ausnahme, Chinesen kennen keine Aschenbecher, es ist hier Usus, die Asche und die Zigaretten im Restaurant auf den Boden zu werfen. Als sie gingen, war ziemlich viel auf den Tellern übrig, denn Chinesen essen den Teller nicht immer leer. Wenn man eingeladen ist, sollte man immer einen Rest übrig lassen, damit der Gastgeber weiß, dass er genug aufgetischt hat. Wird der Teller leer gegessen, signalisiert man, dass man noch Hunger hat, so dass mehr aufgefahren wird. Außerdem zeigt es dem Gastgeber, dass er nicht großzügig genug war. Zu Hause wird alles aufgegessen, denn der Wert des Essens wird geschätzt, eben weil noch relativ junge Generationen den Hunger kennengelernt haben. Man kann in Schanghai zweifelsohne die gesamte Palette westlicher Küchen bekommen, vor allem im Jing'an-Bezirk. Das macht auch manchmal Spaß, aber das authentische China erlebt man außerhalb des Zentrums. Ich gehe gern in diese Restaurants in typisch chinesischen Vierteln. Es ist laut, die Gäste trinken viel und werden noch lauter, aber man ist mittendrin. Nicht selten falle ich auf, weil sich wohl kaum ein Westler dort blicken lässt. Und dann kommt es vor, dass man auf Schnaps und Bier eingeladen wird. Wenn man gut Chinesisch könnte, würde man sicher Abende erleben, die man nicht mehr vergisst. Chinesen lachen viel, interessieren sich wenig für die Probleme dieser Welt, sondern leben und genießen lieber. Stolz präsentiert mir der Tischnachbar diesen 58prozentigen Schnaps, bevor ich davon auch ein Glas bekomme. Ich glaube, man geht nicht zu weit, wenn man behauptet, dass man einen Chinesen mit einem reich gedeckten Tisch und einem Essen im Kreise seiner Familie am glücklichsten machen kann. Zu guter Letzt kommt bei mir wieder der Cineast durch mit seiner Liebe fürs chinesische Kino. Im Film "Eat Drink Man Women" spielt das Essen eine zentrale Rolle. Zwar geht es in dieser feinsinnigen Komödie um etwas ganz anderes, nämlich einen Vater, dessen drei Töchter völlig unterschiedliche Lebenswege eingeschlagen haben, am Ende des Film jedoch in völlig gegensätzlichen und unerwarteten Lebenskonzepten landen, aber das Essen ist immer dabei, nicht zuletzt, weil der Vater von den Dreien ein berühmter Chefkoch in China ist. Hier ein Link zu den beeindruckenden Kochszenen aus "Eat Drink Man Woman":

  • Shanghai-Flaneurs I

    Vom Arts and Crafts-Museum zur Julu Road Sich am Wochenende in der Stadt treiben zu lassen, gehört zu den schönen Freizeitbeschäftigungen. Die Geschäfte sind sonntags geöffnet und man kann durch die Parks und Viertel wandeln und gucken und gucken. Ich fotografiere schon seit Jahren nur noch mit dem Handy, weil es so praktisch und handlich ist und mich die Qualität der Fotos überzeugt hat. Als ich nach China ging, ließ ich meine Spiegelreflexkamera bewusst zu Hause, es ging ja um jedes Kilogramm Gepäck. Hier in Schanghai bekomme ich jedoch Lust, mir eine neue Kamera zu kaufen. Mit guten Objektiven ergeben sich halt ungeahnte Gestaltungsmöglichkeiten. Die Ästhetik der Stadt erkennt man erst auf den zweiten Blick. Es ist eine Mischung aus Spuren der Vergangenheit, Luxus und einer latenten Abgründigkeit, die sich an manchen Orten der Stadt zeigt, etwa in monströs wirkenden Gebäuden wie dem Broadway Mansions, dessen Backsteingebirge etwas Totalitäres ausstrahlt und irgendwie an Gotham City oder Metropolis erinnert, vor allem mit der davor liegenden Waibaidu Bridge. Oder man gerät in das fast dschungelartige Gewirr von Gassen und Gängen im Viertel Tianzifang mit seinen Kabeln und Kellerfenstern, die vermutlich noch nie geputzt wurden, mit dunklen Eingängen, in denen man noch eine schmale, steile Holztreppe im Innerern erahnen kann und mit der Exotik der chinesischen Schriftzeichen und den Farben. Oder man entdeckt alteingesessene Geschäfte zwischen Nanjing Road und Wuhaihai Road, die einen Hauch von unnahbarem Luxus und Tradition ausstrahlen. Es ist ein beeindruckendes Ganzes und irgendwann bemerkt man, dass die Stadt einen ganz eigenen Charakter hat. Viele Chinesen tragen am Sonntag teure Kameras mit sich herum und man fragt man sich, ob z.B. die Hasselblad, die ein perfekt gekleideter Mann um den Hals trägt, ein luxuriöses Modeaccessoir ist oder ob er damit wirklich fotografiert. Wahrscheinlich beides. Ich staune auch immer wieder darüber, wie gut sich viele Schanghaier kleiden. Bis ins letzte Detail ist deren Erscheinungsbild durchdacht. Das sonntägliche Flanieren ist Selbstinszenierung, man zeigt seinen Stil und die Stadt wird zum Laufsteg. Manche Schanghaierin scheint eine besonders ausgefallene Sonntagsgarderobe zu haben, die sie nur zum Flanieren anzieht, um sich damit zu präsentieren. Die jungen Leute sind mutig und elegant und lassen sich gern fotografieren, dauernd sieht man schöne junge Menschen, die Fotos voneinander machen, manchmal fragt man sich, ob es professionelle Shootings sind. Die Stadt bietet dafür eine hervorragende Kulisse. Auch die internationale Mode-Szene ist auf Schanghai aufmerksam geworden und die Stadt ist Ort für wichtigste Fashionshows neben Mailand und Paris, was nicht wundert, wenn man sich die Menge an Luxusmodegeschäften in der Stadt anschaut. Mein Spaziergang verlief gestern vom Shanghai Arts & Crafts-Museum Richtung Julu Road durch die Yongkang Road und die Shaanxi Road sowie einige andere Straßen in dieser Umgebung. Die Wintersonne im späten Dezember stand tief, ihre Wärme gab dem Tag eine angenehme Milde und ihr schmeichelndes Licht tauchte alles in warme Farben. Empire Mansions, Middle Wuhaihai Road Fenyang Road/ Fuxing Road Arts & Crafts Museum, 1905 gebaut als Residenz des Direktors der Industriekammer in der Französischen Konzession. So ein Stadthaus müsste man haben, ruhig, sonnig, großzügig, Dachterrasse. Diese Stadthäuser liegen hinter der Shanghai Symphony Hall. Yongkang Road/Xiangyang Road Jiashan Road Shaanxi Road Julu Road

  • Zahlen - ein spezielles Thema im Reich der Mitte

    Mit Zahlen ist das in China so eine Sache. Genau wie in der abendländischen Kultur spielen sie auch hier eine bedeutende Rolle bei der Zuschreibung von Glück und Leid. Die Zahl 4 fehlt z.B. beim Zählen von Etagen. Als Fremder stellt man das erst fest, wenn man den Fahrstuhl benutzt und bei genauerem Hinsehen keine vierte Etage findet. Das chinesische Wort für 4 四 (sprich Sì) hat eine starke phonetische Ähnlichkeit mit dem chinesischen Wort 死 (sprich: Sǐ), das "sterben " bedeutet. Weil beide Wörter so leicht zu verwechseln sind, verzichtet man lieber gleich darauf. Wer jetzt glaubt, dass die Chinesen spinnen, sollte nach Europa gucken. Wir lassen nämlich die 13. Etage weg. Dort will bei uns keiner wohnen. Und da die Chinesen mehr über den Tellerrand gucken als wir Europäer, lassen sie die Zahl 13 aus Höflichkeit uns gegenüber auch gleich weg, wie man bei den Etagen dieses Fahrstuhls unten sieht. Die Zahl 14 fehlt ebenfalls, da die Chinesen ganz einfach zählen: 14 ist zehn 十 (sprich Shí), plus vier 四, macht zusammen 十四, gesprochen: Shí Sì. Am Schluss also wieder das gefährliche Sì, das als vier, aber auch als sterben verstanden werden kann. Und weil es so schön ist, fehlt auch gleich die 24, die besteht nämlich aus zwei 二 (sprich: Èr), zehn 十, vier 四, macht zusammen: 二十四, gespochen: Èr Shí Sì. Zahlen bringen aber auch Glück: In China ist es die 6 und wenn man jemandem ganz besonders viel Glück wünscht, gibt es die Zahl gleich dreimal: 666. Das Emoticon oben versendet man in diesen Fall. Bei uns steht die Zahl 666 für den Teufel. Spätestens seit der Offenbarung des Johannes wissen wir, dass das Tier, der Antichrist, die Zahl 666 auf die Stirn geschrieben hat. Was übrigens bei dem 666-Emoticon oben aussieht wie ein Zeichen für: "Lass uns telefonieren" ist etwas ganz anderes. Es ist das Handzeichen für die Zahl 6. Die Chinesen zählen genau wie wir mit den Fingern, aber während wir ab sechs beide Hände brauchen, zählen die Chinesen mit einer Hand weiter. Das kann unerwünschte Folgen haben. Wenn ein Europäer z.B. zwei Bier bestellt, macht er folgendes Zeichen: Aber leider steht dies in China für die Zahl 8. Also bekommt man acht Bier. Es gibt Schlimmeres, aber acht Bier kann man ja nicht auf einmal trinken und im Laufe der Zeit werden sie leider schal. Die Chinesen zeigen die 2 ganz anders, je nach Region heben sie entweder Zeige- und Mittelfinger, was in etwa unserem Victory-Zeichen entspricht oder sie machen es mit dem kleinen Finger und dem Ringfinger, was nicht ganz so einfach zu zeigen ist. Bei den Autokennzeichen treiben die Zahlenfolgen ordentliche Blüten. Die Zahl 8 steht für Reichtum und Geld. Die Zahlen 6 und 8 verheißen also Glück und Reichtum. Kennzeichen mit solchen Nummern bekommt man daher im Reich der Mitte nicht zufällig, sondern sie sind heiß begehrt - und teuer. Ein Autokenzeichen mit 8888 ist schlicht unbezahlbar, weil Schilder versteigert werden. Z.B wurde in der Stadt Shenzhen im Jahr 2015 ein Nummernschild mit dieser Ziffernabfolge für 205.000 Euro versteigert. Es war also fast genauso teuer wie der Luxus-BMW, den der Fahrer fuhr. Gegen solche Auswüchse wird im Internet von Usern gewettert: Für 1 Million Yuan bekomme man außerhalb der Metropole Shenzhen eine 100-qm Wohnung und in der Stadt gerade mal ein halbes Nummernschild. Andere zetern, dass Nummernschilder der Öffentlichkeit gehören und von der Stadt verhökert werden.

  • Shanghai Tower - Top of Shanghai

    Eine der Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt ist der Shanghai Tower. Bis letztes Jahr war er das zweihöchste Gebäude der Welt. Seit 2021 ist er auf den dritten Platz gerutscht. Aber China hat sich aus dem Rennen um die höchsten Gebäude der Welt sowieso ausgeklinkt. Es gibt mittlerweile eine Verordnung, dass Gebäude über 300 Meter nicht mehr gebaut werden sollen, da diese Projekte Ressourcen vergeuden und es letztendlich nichts bringt außer vorübergehend einen Top-Platz zu ergattern. Immerhin hat der Bau dieses Gebäudes zwischen 1,5 und 2,5 Milliarden verschlungen. Die drei höchsten und auffälligsten Wolkenkratzer Schanghais stehen direkt nebeneinander: Der Shanghai Tower, das Jin Mao Gebäude und das World Financial Center. Zusammen mit dem Oriental Pearl Tower bilden sie die charakteristischen Landmarks, die Schanghais Skyline unverwechselbar machen. Der Shanghai Tower ist mit Abstand der höchste. Er hat eine auffällige Form, seine Fassade ist gedreht und er wirkt wie in Bewegung. Das ist nicht bloße gestalterische Spielerei, sondern der Turm soll mit dieser Form den Windkräften und Taifunen besser trotzen. Außerdem soll die Fassade Wasser sammeln und energiesparend sein. Der Turm besteht quasi aus zwei Hüllen, dem Inneren und der äußeren Glasfassade. Die Wolkenkratzer in Pudong bieten vor allem abends einen spektakulären Anblick, wenn sie farbenprächtig beleuchtet sind. Das World Financial Center strahlt in Blau und hunderte Lichter funkeln um sein oberes Drittel. Ganz oben läuft um den Shanghai Tower ein gigantischer, weithin sichtbarer leuchtender Schriftzug in Rot und Weiß, der die Gäste aus der ganzen Welt mit "欢迎来到上海 Welcome to Shanghai" begrüßt. Der Jin Mao Tower strahlt in Weiß und der ganze Eindruck dieses Skyline-Ensembles wird abgerundet durch das ständig wechselnde Farbspiel des Oriental Pearl Towers, der bei Nacht besonders schön aussieht. Die kleineren Wolkenkratzer davor haben ebenfalls leuchtende Fassaden, auf denen ganze Bilder aus Licht entstehen: Schmetterlinge, Orchideen usw. Das Ticket zum Observation Deck im Shanghai Tower kostet 30 Euro. Der schnellste Fahrstuhl der Welt bringt einen in 55 Sekunden auf 546 Meter Höhe. Insgesamt 106 Aufzüge gibt es in dem Turm. Ein Display in der Kabine informiert genau über die Geschwindigkeit und man kann genau die Position des Fahrstuhl mithilfe einer Grafik erkennen. Das beruhigt und selbst mit Angst vor Fahrstühlen und Höhe kann man es gut aushalten. Die Fahrt ist kurz und der Fahrstuhl beschleunigt so sanft, dass es keinen Moment unangenehm ist. Die Aussicht auf Schanghai ist spektakulär. Am besten fährt man vor Sonnenuntergang hoch. Dann erlebt man nicht nur den Tag und die Dämmerung, sondern auch das Lichtermeer der Stadt. So leer ist es selten. Ich habe die Zeit von Corona genutzt. Man bleibt schon einige Zeit oben, so ein Besuch ist nicht in 15 Minuten beendet, denn man schaut sich die Stadt im sich verändernden Licht an, holt sich zwischendurch einen Kaffe oder Wein und setzt sich ans Fenster und wartet auf die Nacht. An manchen Stellen sieht man sogar das Ende der Bebauung der Stadt. Aber wo ist das Meer? Das liegt so weit weg, dass es im Dunst verschwindet. Aber immerhin erkennt man den Yangtze in der Ferne. Das alte Schanghai lag gar nicht am Meer, auch nicht am Yangtze, sondern am Huangpu Fluss. Daher wirkt die Stadt auch gar nicht maritim wie z.B. Hamburg, wo der Hafen direkt an der Stadt liegt. Erst im Laufe der Ausdehnung der Stadt erreichte das heutige Schanghai den Yangtze und das Meer.

bottom of page