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Südthüringen -
Bauernaufstände und der Schmalkaldische Bund
Das Tal der Werra, das die Südhänge des Thüringer Waldes und die Rhön voneinander trennt, eignet sich mit seinen hübschen Städtchen Vacha,
Schmalkalden, Bad Salzungen, Meiningen gut für einen interessanten Kurzurlaub.
Die historischen Ereignisse, die dort im Zusammenhang mit der Reformation geschahen, waren für den Verlauf der deutschen Geschichte wichtig. Aus der Spaltung der Kirche in die römische und lutherische Richtung entwickelte sich der Schmalkaldische Bund und im weiteren Verlauf
der Dreißigjährige Krieg, der die allmähliche Auflösung des Reiches einleitete und Deutschlands Einigkeit kaum mehr möglich machte, wodurch dessen Position in Mitteleuropa nachhaltig verändert wurde.
Mein Trip begann bei Vacha, wo die Werra die Grenze zwischen Hessen und Thüringen bildet, in früheren Zeiten war sie hier der Grenzfluss zwischen der ehemaligen DDR und der BRD.
Vacha
Vacha ist die älteste Stadt Südthüringens und zugleich das "Tor zur Rhön". Durch seine Lage an der Werra und der Handelsstraße von Frankfurt nach Leipzig wurde dort die Burg Wendelstein errichtet, Stützpunkt und Verwaltungssitz der Reichsabtei Fulda.
"Brücke der Einheit" - so heißt die Werrabrücke bei Vacha aus dem 14. Jahrhundert. Sie ist Teil der alten Handelsstraße Via Regia von Frankfurt nach Leipzig. Wegen der deutsch-deutschen Teilung war sie 28 Jahre lang nicht passierbar, jetzt verbindet sie Hessen und Thüringen, wodurch sie ihren heutigen Namen erhielt.
Vacha hat eine hübsche, rausgeputzte Altstadt mit vielen Fachwerkbauten, einem schönen Marktplatz, einer Burg und einigen herausragenden Gebäuden wie der Kemenate (heute Stadtbibliothek) und der Widmarckt (heute Rathaus). Eigentlich hat die Stadt touristisches Potential, aber außer mir war kein einziger Besucher zu sehen. Am Markt, der guten Stube der Stadt, gibt es nicht viel Gastronomie. Kein Café, bei dem man draußen sitzen kann. Anscheinend kommen zu wenige Gäste (Stand 2021). Schade, aber nicht selten in Deutschland, dass schöne Orte irgendwie übersehen werden.
Die Widmarckt, Rathaus von Vacha
Die Widmarckt ist das beeindruckende, stolze, mehrgeschossige
Fachwerkhaus am oberen Ende des Marktes, das 1613 für den landgräflichen Amtmann Caspar Widmarckter errichtet wurde. Zur gleichen Zeit entstand auch der Vitusbrunnen davor. Seit 1911 ist das Gebäude das Rathaus der Stadt.
Die Kemenate (leider ohne Bild) steht am unteren Ende des Marktes am Kirchplatz. Man vermutet, dass es ein Wirtschaftshof war für die Versorgung der Burg, deren Überreste gleich nebenan liegen.
Rechts der Turm der Burg Wendelstein in Vacha, neben dem Rundbogen in der Mauer, rechts ist eine Platte zum Gedenken an Hans Sippel eingelassen, einem der Anführer der Bauernaufstände.
Bauernaufstand
Vacha war eine der Städte, in denen die thüringischen Bauernaufstände ihren Anfang nahmen. 1525 revoltierten Bauern gegen die Obrigkeit, die sich weigerte, einen lutherischen Prediger zu berufen. Die Regierenden hatten gute Gründe für ihre Weigerung. Luthers Übersetzung des Neuen Testaments hätte dazu geführt, dass die Liturgie in deutscher Sprache von den Gläubigen verstanden worden wäre, so dass jeder hätte überprüfen können, was gepredigt wurde. Latein, die Sprache der Kirche, zementierte hingegen Herrschaftswissen.
Der Wissensvorsprung der Kirchenvertreter wäre allein nicht
problematisch gewesen, wären da nicht gleichzeitig schwere soziale Unwuchten gewesen, die mithilfe der Bibel legitimiert wurden, die von den Bauern bisher nicht verstanden wurde, nun aber doch dank Luthers Übersetzung von 1522.
Überall im Reich flammten Bauernaufstände auf, vor allem am Hochrhein, in Oberschwaben und Franken, dann im Schwarzwald und dem Elsass. Schließlich auch im Rheingau und in Thüringen, bis sie zum Schluss sie die Alpenländer erreichten.
Ohne die sozialen Verwerfungen in der damaligen Gesellschaft hätte die Reformation vermutlich nicht ihren durchschlagenden Erfolg gehabt. Die Einführung der deutschen Sprache in der Liturgie setzte einen
Demokratisierungsprozess in Gang, der Mitsprache ermöglichte und soziale Ungerechtigkeiten durchschaubar und nicht mehr legitimierbar machte.
Rückblickend war die Reformation nicht nur eine kirchliche Reform, sondern auch eine soziale Revolution.
Bei dem Aufstand in Vacha wurden die ständischen Vertreter durch die Bauern zu Zugeständnissen genötigt. Unter anderem bekamen die Aufständischen zwanzig bewaffnete Männer an die Seite gestellt. Man muss bedenken, dass die Bauern außer Dreschflegeln und Forken der Obrigkeit nichts entgegensetzen konnten. Auf der gegnerischen Seite standen Ritter in Rüstungen mit Schwertern und Kanonen. Einer der bewaffneten Männer, die die Aufständischen begleiteten, war ihr Anführer, der Vachaer Hans Sippel, den man auf einem Relief sieht, das in die Mauer der Burg Wendelstein eingelassen ist.
Was hier klingt wie ein Miniaufstand - man nannte die Bauern den sog. "Werrahaufen" - war Teil einer Bewegung, der sich 13.000 Bauern anschlossen. "Haufen" war die damals gängige militärische Bezeichnung für eine Truppe mit klaren Regeln und Dienstgraden.
Die Truppe unter der Leitung von Hans Sippel zog von Vacha werraaufwärts bis Meiningen und nachdem man alle Obrigkeiten in Salzungen, Schmalkalden usw. dazu gebracht hatte, die "Zwölf Artikel von Memmingen" zu unterzeichnen, machte man sich auf den Weg nach Eisenach. Dort wurde der Aufstand niedergeschlagen, die Hauptleute gefangengenommen, gefoltert und nach kurzem Prozess auf dem Markt von Eisenach hingerichtet. Ein in den Boden eingelassener Gedenkstein auf dem Markt zeigt die Stelle der Hinrichtung.
Das Ganze dauerte keinen Monat. Die Bauernkriege wurden niedergeschlagen, aber die Unruhe war keinesfalls beendet, denn 1536 bildete sich der Schmalkaldische Bund und der Flächenbrand wurde größer.
Zwölf Artikel von Memmingen
Die "Zwölf Artikel von Memmingen", deren Unterzeichnung die Bauern von den Obrigkeiten forderten, gelten als eine frühe Formulierung von Menschenrechten.
Darin wurde vor allem die Beseitigung sozialer Ungerechtigkeiten gefordert, welche - so lautet die Begründung - nicht gott-, sondern menschengemacht seien. Das galt z.B. für Abgaben, aber auch für Besitzstände und Vorrechte bei Weiden, Wäldern, Jagd- und Fischgründen usw.
Interessant ist hierbei die Frage, warum sich auch mancher Fürst der Reformation anschließen wollte. Dahinter standen Machtver-
hältnisse unter den Obrigkeiten, die auch in Konkurrenz zueinander standen und die Reformationsfrage für Machtinteressen einsetzten.
Hinzu kam noch eine kulturelle Revolution, die das Ganze begünstigte oder überhaupt erst möglich machte - die Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg in Mainz. Die "Zwölf Artikel von Memmingen" wurden in der für die damalige Zeit unglaublichen Auflage von 25.000 gedruckt und verbreiteten sich im gesamten Heiligen Römischen Reich. Sie gelten nach der Magna Carta von 1215 als eine der ersten niedergeschriebenen Forderungen nach Menschen- und Freiheitsrechten in Europa.
Die Zwölf Artikel werden aufbewahrt im Stadtarchiv von Memmingen. (Klick hier, um sie digital zu sehen.)
Bad Salzungen
Von Vacha ging die Reise weiter nach Bad Salzungen, das nur 20 Kilometer entfernt ist. Die Hauptsehenswürdigkeit dort - das Gradierwerk - wurde während meiner Reise (Stand Sommer 2021) leider gerade komplett renoviert. Gradierwerke sind die meterhohen Reisigwände, über die unentwegt Salzsole fließt, die an den Zweigen des Schwarzdorns zerstäubt und salzaerolsolhaltige Luft produziert, an der man entlang flanieren kann, um die feuchte, salzhaltige Luft zu inhalieren, was ungefähr der Luft am Meer entspricht und Asthmatikern und Pollenallergikern Linderung bringt - ursprünglich dienten sie zur Salzgewinnung.
Weil diese Teile aus Holz gebaut sind, müssen sie von Zeit zu Zeit erneuert werden. Ich stand vor einer abgesperrten Baustelle, daher hier ein Foto aus dem Internet.
Von Tilman2007 - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=72532145
Bad Salzungen ist beschaulich und ruhig mit einer kleinen, ebenfalls sehr adretten Altstadt am Burgsee, der von einigen Kurhäusern umstanden ist.
Schmalkalden
Weiter ging meine Fahrt durch das Werratal Richtung Schmalkalden. Links von mir lag der Thüringer Wald, rechts die Rhön. Die Landschaft ist unzersiedelt, keine Industrie, ursprüngliche aussehende Orte. Architektonische Renaissance-Elemente verweisen auf lang zurückliegende Blütezeiten. Achteckige Kirchtürme mit Renaissance-Hauben, achteckige Treppenhaustürme an den Häusern, sogenannte Wendelsteine.
Irgendwann ging es dann aus dem Werratal links ab in den Thüringer Wald. Nach ein paar Kilometern war Schmalkalden erreicht.
Der Schmalkaldische Bund
Schmalkalden ist ebenfalls eine sehr gut erhaltene Fachwerkstadt mit einigen Plätzen wie dem Lutherplatz, der Salzbrücke, dem Altmarkt und dem Neumarkt. Auf dem Altmarkt fallen neben den Fachwerkhäusern die Banner auf, die an den Fensterbänken im zweiten Stockwerk hängen. Auf ihnen sind die Namen und Wappen der Städte und Fürstentümer zu sehen, die zum Schmalkaldischen Bund gehörten.
Nachdem Luther 1517 (oben ist er zu sehen als Relief in der Stadtkirche von Schmalkalden) seine Thesen in Wittenberg veröffentlicht hatte, bekannten sich einige Reichsfürsten und Reichsstädte zu der reformierten Glaubensrichtung.
Kaiser Karl V. hätte sicher den neuen Strömung einiges entgegen setzen können, wäre er nicht gerade in den 1520er Jahren durch Kriege an der osmanischen und französisch-italienischen Front abgelenkt gewesen. 1529 standen die Türken vor Wien und in Italien kämpfte das Haus Valois gegen die Habsburger. Das Reich war von Osten wie von Westen bedroht.
Als der Kaiser nach der abgewehrten Gefahr durch die Türken 1530 wieder in der Lage war, sich um innere Angelegenheiten zu kümmern, bildete sich 1531 der Schmalkaldische Bund. Er umfasste anfangs nur sechs Fürstentümer und elf Städte - aber im Laufe der Zeit schlossen sich ihm weitere Fürstentümer und Städte an. Bis 1546 waren es zwanzig Fürstentümer und 31 Reichsstädte und der Bund erstreckte sich von Riga bis Straßburg, von der Nordsee bis zu den Alpen.
Manche dieser Namen von Fürstentümern und Städten, die sich dem Bund anschlossen kennt man, von anderen weiß man nicht einmal genau, wo sie liegen. Um nur ein paar zu nennen: Landgrafschaft Hessen, Fürstentum Anhalt-Bernburg-Köthen, Fürstentum Württemberg, Fürstentum Anhalt-Dessau, Grafschaft Nassau-Weilburg, Königreich Dänemark, aber auch Städte wie Osnabrück, Schwäbisch Hall, Hamburg, Frankfurt, Magdeburg, Lübeck, Riga.
Ein Blick auf eine Karte des Heiligen Römischen Reiches in der ersten Hälfte des 16.Jahrhhunderts zeigt alle am Schmalkaldischen Bund Beteiligten.
Karte aus dem Museum Wilhelmsburg
Deutlich ist bei den Mitgliedern des Bundes ein Schwerpunkt bei den Reichs- und Hansestädten zu erkennen. Hier zeichnet sich der Gegensatz zwischen städtischem Bürgertum und Feudalherren ab.
Den anderen Schwerpunkt bilden Fürstentümer in den heutigen Bundesländern Regionen Altsachsen, Anhalt, Sachsen und Hessen.
Urkunde der Mitglieder des Schmalkaldischen Bundes, die mit diesem Vertrag die Abwehr aller Angriffe in Glaubensfragen um weitere zehn Jahre verlängerten.
Zwar gelang es dem Kaiser, den Bund im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 zu beenden, aber zu diesem Zeitpunkt, war der Protestantismus in Europa so weit gefestigt, dass er nicht mehr zurückzudrängen war.
Eine gut gemachte Ausstellung über der Schmalkaldischen Bund gibt es auf Schloss Wilhelmsburg oberhalb vom historischen Ortskern Schmalkaldens. Sie zeigt die gesamte Entwicklung und als Besucher bekommt man eine ziemlich klare Vorstellung von der Zeit. Es wird deutlich, dass hier die konfessionelle Spaltung Deutschlands begann und die Voraussetzungen für den Dreißigjährigen Krieg gelegt wurden (Willst du mehr über den Dreißigjährigen Krieg erfahren? Klick hier). Ich würde die Ausstellung zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten Schmalkaldens zählen. Als Besucher erwartet man ein Museum, das die Geschichte erklärt, und diese Erwartung wird voll erfüllt.
Schloss Wilhelmsburg, Toreinfahrt des Schlosses mit Blick auf Schmalkalden.
Wilhelm IV. von Hessen-Kassel als Wandmalerei über der Tür.
Die Schlosskirche, eine typische evangelische Kirche, unter anderem an den Emporen erkennbar. (Willst du mehr über die Bauweise evangelischer Kirchen erfahren, Klick hier.)
Meiningen