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Transsilvanien - Siebenbürgen
(Die Begriffe Transsilvanien und Siebenbürgen verwende ich im Folgenden synonym. Falls sie differenziert benutzt werden müssen, freue ich mich über Hinweise.)
Als ich in diese Gegend reiste, hatte ich den Kopf voller Klischeevorstellungen.
Man denkt an ein ziemlich entlegenes Land, in dem die Zeit stehen geblieben ist, an wilde Tiere, Bären, Wölfe, vielleicht sogar an Vampire, an die Karpaten oder die benachbarte Walachei. Als Jugendlicher dachte ich noch, diese Orte wären reine Fiktion. Später fand ich heraus, dass es sie wirklich gibt.
Was hatte ich genau erwartet? Am Beginn stand der Besuch eines Freundes, der in Transsilvanien auf einem Bauernhof in einem der typischen Straßendörfer lebt, in denen Hof an Hof wie auf einer Kette aufgereiht ist, die sich durch den Ort zieht. Die Häuser sind straßenseitig mit einem großen Tor versehen, innenliegend ein Hof, der links und rechts von einem Gebäudeflügel flankiert wird, am Ende des Hofes Stall und Scheune und noch weiter dahinter Obst- und Gemüsegärten sowie eine Weide für Tiere.
An der Schnittstelle zwischen Abendland und Morgenland
Da mich Historisches immer interessiert, ging es auch diesmal nicht ohne: Transsilvanien liegt auf halber Strecke zwischen einem wichtigen Zentrum des ehemaligen Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, nämlich Wien, und dem Zentrum des ehemaligen Osmanischen Reiches, Istanbul.
Das hatte in Transsilvanien Auswirkungen auf einiges: Mental war die deutsche Bevölkerung Siebenbürgens auf Deutschland und Österreich ausgerichtet, während sich die Verteidigung gegen die Osmanen richtete, die öfters durch das Land zogen auf dem Weg nach Wien, das sie erobern wollten, was ihnen bekanntlich nicht gelang. Abgesehen von Wien hatten die Türken ohnehin Interesse an der wohlhabenden Ostprovinz des Königreichs Ungarn, die so dicht bei ihnen lag.
Warum lebten Deutsche in Transsilvanien?
Siebenbürgen hat verschiedene Bevölkerungsgruppen: Die größten sind die Rumänen und Ungarn, gefolgt von Deutschen und Roma.
Wie kamen die Deutsche nach Rumänien? Schon im 12. Jahrhundert wanderten Siedler vom Mittelrhein und der moselfränkischen Gegend nach Siebenbürgen aus auf der Suche nach einem besseren Leben und gründeten dort Siedlungen, unter anderem Hermannstadt, Kronstadt, Schäßburg, Mühlbach, Klausenburg usw.
Siebenbürgen war reich, Gold, SiIber und Salz aus Bergwerken in den Karpaten und ein guter Handel von Danzig bis zur Krim brachten Wohlstand.
Im 18. Jahrhundert folgten die Donauschwaben, die auf den "Ulmer Schachteln" genannten Holzbooten stromabwärts über die Donau ins 1718 österreichisch gewordene Banat auswanderten, jener Region, die sich heute ganz im Westen von Siebenbürgen befindet mit der regionalen Metropole Temeswar.
Gibt es deutschsprachige Gemeinden?
Bis zum Niedergang des Ostblocks 1989 waren ganze Landstriche komplett deutschsprachig.
Als die ersten freien Wahlen 1990 anstanden, verließen fast alle Deutschsprachigen das Land und machten sich auf den Weg in den Westen. Zu ungewiss waren der Ausgang der Wahlen und die Zukunft. In den 80er Jahren litt Rumänien unter einer verheerenden Mangelwirtschaft mit Energieknappheit und rationierten Lebensmitteln. Im Winter wurde damals die Temperatur in Wohnungen durch Fernwärme auf 12 Grad gedrosselt und pro Haushalt durfte nur eine 25 Watt-Glühbirne eingesetzt werden. Lebensmittel waren kaum zu haben, Fleisch gar nicht und Gemüse war entweder welk oder verfault. Seit dem massenhaften Weggang deutscher Bevölkerung ist die deutsche Gemeinschaft winzig geworden. Meist sind es nur noch wenige alte Leute, die geblieben sind.
Heutzutage gibt es den Trend, dass Rumäniendeutsche, die ins Ausland gegangen sind, ihre Häuser in der alten Heimat wieder instand setzen. Dass es noch einmal eine deutschsprachige Kultur gibt wie früher, ist eher ausgeschlossen. Deutsch als Fremdsprache erfreut sich in Rumänien allerdings immer noch größerer Beliebtheit.
Warum sind Siebenbürger evangelisch?
Ebenfalls im 18. Jahrhundert deportierte Wien unter der Regentschaft von Maria Theresia lutherische Protestanten nach Siebenbürgen, um den katholischen Glauben im Vielvölkerstaat Österreich auf diese Weise zu festigen. Die Protestanten sollten so weit wie möglich weg sein, da kam die entlegene Region Siebenbürgen geradezu gelegen. Eine Rückkehr war ihnen untersagt.
Dieser Umstand erklärt, dass alle Siebenbürger protestantisch sind. Vermutlich sollten sie im Osten auch ein erstes christliches Bollwerk gegen die Türken bilden und im Falle von Verlusten waren es aus österreichisch-habsburgischer Sicht lediglich Protestanten. Ob Siebenbürgen allerdings die Türken schwächen konnte, ist fraglich.
Neue Bevölkerung bauchte das Land immer wieder, denn die ständigen Türkeneinfälle führten zu erheblichen Verlusten an Menschen, da in der Regel ganze Dörfer versklavt wurden.
Verteidigungsanlagen zum Schutz vor den Osmanen
Um sich gegen die Türken zu verteidigen, bauten die Siebenbürger Kirchburgen, Gotteshäuser mit Wehrtürmen, Schutzwällen, Verteidigungsmauern, Vorratskammern etc., wohin man sich im Falle eines erneuten Einfalls zurückzog, sich verteidigte und hoffte, dass die Burg standhält.
Die Kirchenburgen in Siebenbürgen sind heute UNESCO-Weltkulturerbe. Einige davon ähneln eher einer Burg als einem Gotteshaus.
Kirchenburgen
Kirchenburg bei Birthälm/Biertan
Wehrgang auf der Wehrmauer der Kirchenburg in Birthälm
Kirchenburg in Wurmloch/Valea Viilor
Eingang zur Kirchenburg in Wurmloch. Über der Tür ist das Fallgitter zu sehen, dass bei Angriffen heruntergelassen wurde.
Das Innere der Kirche in Wurmloch
Kirchenburg in Deutsch-Weißkirch/Viscri
Auf den ersten Blick sehen diese Bauwerke nicht unbedingt wie Kirchen aus. Letztendlich dienten sie aber auch immer - wie oben schon beschrieben wurde - neben der Religionsausübung auch der Verteidigung und dem Schutz.
Der Ort Deutsch-Weißkirch liegt abgelegen von der Hauptstraße und ist nur über eine schlechte Schotterstraße zu erreichen, wodurch er seine Ursprünglichkeit bewahren konnte. König Charles von England kaufte dort einige Häuser und der Mihai-Eminescu-Trust aus London bemüht sich um den Erhalt des Dorfes und der Kirchenburg.
Übrigens spielt die Handlung von Band 16 der Kinderbuchreihe "Der kleine Vampir" in Deutsch-Weisskirch.
Kirchenburg Frauendorf
Die Schwarze Kirche in Kronstadt/Brașov
Auf dem Foto oben sieht man die Schwarze Kirche in Kronstadt. Ihr großes Dach und ihr recht kleiner Turm ragen am Ende der Straße über die Dächer der Häuser.
Diese Kirche ist der größte Sakralbau zwischen dem Wiener Stephansdom und der Hagia Sophia in Istanbul. Ansässige siebenbürgisch-sächsische Kaufleute brachten von ihren Handelsreisen aus Kleinasien orientalische Teppich mit, die sie der Kirche aus Dank für gute Geschäfte schenkten. Auf diese Weise sammelte sich über Jahrhunderte eine beachtliche Menge feingearbeiteter anatolischer Teppiche an. Einige davon hängen im Kirchenschiff. Sie erinnern ein wenig an Altäre in den Kapellen von Seitenschiffen in Kirchen des süddeutschsprachigen Raums. Teppiche haben in der islamischen Welt als Gebetsteppiche ebenfalls eine religiöse Funktion und so wirkt die schwarze Kirche wie eine Schnittstelle zweier Kulturen, des Christentums und des Islams, christlich zwar, aber mit orientalischen Einflüssen. Die Teppichsammlung dort soll die größte außerhalb der islamischen Welt sein.
Hermannstadt
Hermannstadt/Sibiu
Hermannstadt zeigt architektonisch den Einfluss der ehemaligen k.u.k Zeit durch barockisierende Architekturlemente wie Mansardendächer oder breite Fensterlaibungen.
Empfehlenswert ist das Restaurant Crama Sibiul Vechi.
Schässburg/Sighișoara
Der Stundturm in Schäßburg ist so etwas wie das Wahrzeichen von Transsilvanien.
Man kann ihn besteigen und findet oben in der Aussichtsgalerie die Entfernungsschilder zu verschiedenen Städten, darunter auch Wien und Istanbul. Fast genau in der Mitte zwischen beiden Metropolen liegt dieser Turm, ca. 660 Kilometer in beide Richtungen. Dass diese Städte nur ca. 1300 km voneinander entfernt liegen, ist überraschend.
Der Schulberg vom Stundturm aus gesehen.
Auf dem Berg liegt das Josef-Haltrich-Lyzeum, das Gymnasium der deutschen Minderheit, das von der Altstadt über eine hölzerne, überdachte Treppe, die so geannte Schülertreppe, erreichbar ist.
In der Schule auf dem Schulberg
Schäßburg ist der Geburtsort von Graf Vlad Dracul, bekannter unter dem Namen Graf Drakula. Es gibt sein Geburtshaus, in dem man die Räume besichtigen kann, in denen er später auch gelebt hat. Dahin gelangt man durch das Restaurant Casa Vlad Dracul, das unübersehbar im Zentrum in der Strada Cositorarilor 5 liegt. Man fragt die Bedienung nach den privaten Räumen des Grafen und nachdem man über eine Holztreppe ins Obergeschoss gelangt ist, findet man verdunkelte Räume mit Spuk-Deko. Unter anderem gibt es einen Sarg, in den man sich für ein Erinnerungsfoto legen kann. Das Ganze hat den Charme eines Gruselkabinetts mit Gemälden des Grafen und gepfählten Osmanen. Historisches erfährt man weniger. Es ist eher eine Art Geisterbahn zum Durchgehen.
Schäßburg ist ziemlich durchrenoviert, was für etliche Städte in Transsilvanien gilt. Allerdings hat man hier recht großzügig in die Farbtöpfe gegriffen, so dass die Stadt ziemlich bunt ist.
Schloss Peleș
Mein Fazit über Siebenbürgen und ein bisschen auch über Rumänien (immerhin deckt Transilvanien ca. ein Drittel der Fläche von Rumänien ab):
Es war eine abolut positive Überraschung. Wunderbare Landschaften, kaum Naturzerstörung, gut restaurierte, historische Städte, interessante Geschichte.
Rumäniens Bild in den Medien ist leider anders und wird an Wirtschaftsdaten und am Korruptionsindex festgemacht oder an Arbeitern, die ständig zwischen Rumänien und Westeuropa hin- und herfliegen müssen, um sich ein Stück vom europäischen Wohlstandstraum zu erarbeiten, Menschen, die wir in unserem Reichtum nicht sehen und die in einer Parallelwelt unter uns leben.
Man hörte vor ein paar Jahren ständig von Kindern, die in Kanalisationen leben und mit Klebstoff ihre Sinne berauschen, um das Leben zu ertragen, man hörte von Hunderudeln, die ganze Straßen unsicher machen.
Ein desaströseres Bild kann man kaum zeichnen.
Tatsächlich ist das Land anders, als dieser Fokus uns weismachen will, und wer wandern und Natur erleben möchte, sollte es in den Karpaten tun. Manchen erschrickt es vielleicht, wenn es archaisch und wild wird, andere fasziniert gerade das.
Sogar Skiurlaub ist in den Karpaten möglich. Auf meiner Fahrt von Bukarest nach Transsilvanien kam ich durch den Berg-Urlaubsort Sinaia hoch in den Karpaten - ein Sommer- wie Wintersportort - in dem man den Hauch eines k.u.k Ortes mit schönen alten Hotelbauten spürt.